Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz. Die häufigste Form der degenerativen Erkrankung stellt Alzheimer dar. Angesichts des zunehmenden Gedächtnisverlustes sowie der eingeschränkten Orientierungsfähigkeit wird die Lebensqualität Betroffener zumeist stark beeinträchtigt. Ein israelisches Forschungsteam entwickelte nun allerdings ein neues Molekül, welches dem Fortschreiten der Krankheit entgegenwirkt.
Dringender Forschungsbedarf
Bislang erwiesen sich viele Medikamente gegen Alzheimer als kaum effektiv. Der Forschungsgruppe zufolge sei dies vor allem darauf zurückzuführen, dass die Arzneimittel auf falsche Biomarker ausgerichtet sind. Die meisten Wirkstoffe fokussieren sich nämlich auf Personen, die bereits Krankheitssymptome zeigen. Sobald sich jedoch krankheitstypische Beschwerden äußern, sind viele Gehirnzellen, die Erinnerungs- und Wahrnehmungsprozesse regulieren, schon irreversibel beschädigt. Professor Shai Rahimipour vom Fachbereich Chemie der israelischen Bar-Ilan-Universität entwickelte nun einen innovativen Ansatz, um präsymptomatische Indikatoren der Alzheimer-Erkrankung zu lokalisieren und anschließend zu therapieren.
Toxische Vorläuferprodukte forcieren Krankheitsverlauf
Bislang wurde der Fokus in der Alzheimerforschung vor allem auf die Produktion von Antikörpern und Molekülen gelegt, die pathologischen Eiweißansammlungen wie Fibrillen und Plaques vorbeugen sollen. Derartige Therapiekonzepte stellten sich jedoch bisher als erfolglos heraus und gingen darüber hinaus mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einher. Mittlerweile gelten Plaques und Fibrillen an sich als ungiftig. Stattdessen rückten sogenannte Oligomere in den Forschungsmittelpunkt – toxische Vorläuferprodukte der Fibrillen.
Erhebliche Komplikationen bei Antikörpertherapien
Aktuelle Studien, bei denen Antikörper gegen Oligomere zum Einsatz kamen, lieferten vielversprechende Resultate. Dennoch traten auch bei diesen Untersuchungen erhebliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Mikroblutungen auf. Zudem konnten die meisten Antikörper nicht ausreichend in das Gehirn vordringen, da die sogenannte Blut-Hirn-Schranke den Stoffaustausch einschränkt.
Verbesserte Therapieaussichten dank innovativem Molekül
Professor Rahimipour und seinem Forschungsteam gelang es diese Barriere zu durchdringen, indem sie kleine, abiotische, zyklische Peptide generierten. Diese stellten sich bei Tierversuchen als besonders effektiv heraus, um Alzheimer bereits im präsymptomatischen Stadium zu diagnostizieren. Auch in therapeutischer Hinsicht erwiesen sich die Peptide als vielversprechend: Wenn sie in einem Reagenzglas mit dem Eiweißstoff Amyloid Beta in Kontakt traten, konnte die Produktion von Oligomeren vollständig verhindert werden. Dies bedeutet, dass sich in weiterer Folge auch keine pathogenen Eiweißansammlungen bildeten, welche die Krankheit normalerweise forcieren.
Peptide schützen Neuronen
Anschließend züchteten die Forscher menschliche Nervenzellen, welche sowohl schädlichen Oligomeren als auch zyklischen Peptiden ausgesetzt wurden. In einer Kontrollgruppe wurden die humanen Zellen ohne Peptide mit den Oligomeren konfrontiert. Während der Großteil der Neuronen dank des Schutzes der speziellen Moleküle überlebte, zeichnete sich in der Kontrollgruppe ein gegenteiliger Effekt ab – die meisten menschlichen Nervenzellen wurden durch die Oligomere schwer beschädigt oder eliminiert.
Krankheitsentwicklung vorzeitig unterbunden
Danach untersuchten die Mediziner die Wirksamkeit der zyklischen Peptide an Würmern, bei denen sich alzheimerähnliche Symptome manifestierten. Die Forscher beobachteten, dass die Lebenserwartung der Tiere durch das Füttern mit den zyklischen Molekülen erheblich verlängert wurde. Dank der Peptide konnte die Entstehung toxischer Oligomere in einem sehr frühen Stadium unterbrochen werden, was darauf hindeutet, dass der Krankheitsverlauf bereits im präsymptomatischen Abschnitt mittels geeigneter Interventionen gestoppt werden kann.
Anschließend wurden die konkreten Auswirkungen des Peptides auch an präsymptomatischen Mäusen getestet. Die Experten stellten fest, dass sich die Produktion von Polymeren durch diesen Therapieansatz stark verringerte, sodass die Versuchstiere keine Alzheimer-Symptome entwickelten.
Vielversprechende Erkenntnisse
„In diesen Tiermodellen haben wir die Krankheit tatsächlich in ihren frühen Stadien gestoppt, noch bevor sich Oligomere gebildet haben“, freut sich Prof. Rahimipour. „Unser akribisches Experimentierprogramm hat keine Anzeichen von Toxizität gezeigt und dass die Moleküle im Gegensatz zu Antikörpern die Blut-Hirn-Schranke sehr gut überwinden“, ergänzt der Mediziner. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen arbeitet der Forscher aktuell an einem geeigneten Arzneimittel für präklinische und klinische Untersuchungen.
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