Insbesondere über die Wintermonate hat sich bei vielen ein wenig überschüssiges Hüftgold angesetzt, das bis zur Bikini-Saison abtrainiert werden soll. Mithilfe diverser Diäten, wie z.B. Low Carb, Keto, Paleo, etc., soll den Fettzellen der Kampf angesagt werden. Ein gemeinsamer Nachteil all dieser Fastenkulturen: Die hart erarbeitete Muskelmasse schwindet ebenso wie das unliebsame Fettgewebe, da sich der Körper in einem konstanten Kaloriendefizit befindet. Eine relativ neue Ernährungsstrategie soll nun den Schlüssel dieses Dilemmas darstellen: Carb Cycling.
Muskeln her, Fett weg!
Doch handelt es sich beim miteinander einhergehenden Muskelauf- sowie Fettabbau um einen in der Realität umsetzbaren Vorgang oder steckt nichts weiter als ein Mythos dahinter? Die unmittelbare Antwort ist zunächst ernüchternd: Exakt zeitgleich lassen sich Muskelzuwachs und Fettabbau nicht realisieren. Fett kann nicht „einfach“ in Muskelmasse umgewandelt werden. Warum? Weil die Entstehung von Fett und der Aufbau von Muskeln zwei gegensätzliche biochemische Prozesse von höchster Komplexität sind, die nacheinander ablaufen und mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen an den Körper einhergehen. Der Aufbau von Muskelgewebe ist ein anaboler Vorgang, bei dem zusätzliche Energie in Form eines Kalorienüberschusses benötigt wird, um körpereigene Fette, Proteine und Kohlenhydrate herzustellen. Der alleinige Verzehr von Eiweiß reicht jedoch nicht aus, um den Muskelaufbau zu initiieren, dafür benötigt es gezielter, progressiver Belastung in Form von Krafttraining. Während des Trainings kommt es zu einer Verdickung der Muskelfasern durch die in der Muskelzelle eingelagerten Proteine sowie zu einer Ermüdung der Muskulatur. Im Anschluss setzt die Reparaturphase des Muskelgewebes ein, in der der Muskel versucht, sich physiologisch auf die nächste Belastungsprobe vorzubereiten – es kommt zur Vergrößerung des Muskelquerschnitts, also dem Muskelzuwachs.
Die Gewichtsabnahme hingegen wird als kataboler Ablauf kategorisiert, bei dem es durch ein Energiedefizit zum Verbrauch der körpereigenen Fettreserven kommt. Die komplexen molekularen Stoffe wie Proteine, Kohlenhydrate und Fett werden bei diesen Stoffwechselprozessen in ihre einfacheren Bausteine zerlegt, die anschließend für die Synthese neuer Substanzen zur Verfügung stehen oder weiter zerlegt und letztlich ausgeschieden werden. Durch sportliche Betätigung sowie der richtigen Ernährung kann die Menge der Fettzellen manipuliert und somit die Vergrößerung bzw. Verkleinerung der Fettmasse garantiert werden. Bei dem Fett, das als größter Frustrationsauslöser gilt, handelt es sich um sichtbares Depotfett, das im Notfall als Energiereserve – also beim Hungern oder Fasten – dient. „Trainiert jemand viel, nimmt aber gleichzeitig zu viele Kalorien auf – liegt also über seinem errechneten Energiebedarf – bedient sich der Körper an den freien Fettsäuren im Blut und nicht am ‚Speicherfett“, so Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Carb Cycling: Der Lichtblick am Ende des Tunnels?
Den Ausweg aus der Misere soll nun Carb Cycling, ein Kohlenhydrat-Zyklus, schaffen, indem die Kohlenhydratzufuhr nach Belastungs- und Ruhephasen ausgerichtet wird. An harten Trainingstagen, den sogenannten High Carb Tagen mit viel Bewegung sowie intensivem Krafttraining, wird die Zufuhr von Kohlenhydraten erhöht, um leistungsfähiger zu sein. An Low Carb Tagen, an denen keine Trainingseinheiten geplant sind, verzichtet man weitestgehend auf Kohlenhydrate, um den Fettstoffwechsel anzuregen.
Carb Cycling bietet den großen Vorteil, dass Muskelauf- und Fettabbau innerhalb einer Woche an verschiedenen Tagen stattfinden können. Weiters muss für den Fettverlust nicht tagtäglich auf Kohlenhydrate verzichtet werden. Es findet kein Abhungern wie z.B. beim Intervallfasten statt, was in weiterer Folge zu mehr Leistungsfähigkeit dank der „erlaubten“ Kohlenhydrate führt. Durchhaltevermögen und Leidensdruck spielen bei der Körperfettreduktion ebenfalls eine entscheidende Rolle, da sich mit Ernährungsplänen, die leichter zu befolgen sind, oftmals größere Fortschritte erzielen lassen, als mithilfe von Nulldiäten, deren „Erfolgsrezept“ auf absolutem Verzicht basiert.
Da das Carb Cycling eine vergleichsweise junge Ernährungsstrategie darstellt, wurden bisher noch keine Studien, die ihre Effektivität belegen könnten, durchgeführt. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Relevanz einer ausreichenden Proteinzufuhr für Muskelwachstum und -erhalt untermauern, sind en masse vorhanden sowie etliche Studien, die die Gewichtsabnahme sowie den Fettabbau durch eine allgemeine Kalorienreduktion und den Verzicht auf Kohlenhydrate verzeichnen. Grundsätzlich ist bei Diäten oder „Ernährungsstrategien“ jeglicher Art jedoch Vorsicht geboten, da sie nie die individuellen Bedürfnisse bzw. genetischen Dispositionen jedes einzelnen Individuums berücksichtigen und dementsprechend nicht für jede Person geeignet sind. Vielleicht wäre es sinnvoll, anstatt fortlaufend nach diversen neuen Ernährungsstrategien Ausschau zu halten, die Diversität aller Körperformen zu akzeptieren und somit auf anderem Wege zu einem Umdenken in Ernährungsfragen zu gelangen.
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