Der Markt mit Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) und Vitaminpräparaten in Tabletten-, Kapsel- oder Pulverform boomt, was primär eines bedeutet: Profit für die HerstellerInnen und damit in weiterer Folge für die Lebensmittelindustrie. Ein lukratives Geschäft mit der Gesundheit in Milliardenhöhe, dem täglich unzählige Menschen in die Hände spielen. Dass diese Substituierung meist überhaupt nicht von Nöten ist und sich im schlimmsten Fall in Form einer Überdosierung, der sogenannten Hypervitaminose, sogar ins Gegenteil verkehren kann, ergibt eine aktuelle Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).
Vitamine – Wozu sie da sind und was sie können
Dreizehn verschiedene Vitamine und acht essentielle Spurenelemente sind an einer Vielzahl von Stoffwechselprozessen im Körper und damit an einem gesunden und munteren Lebensstil beteiligt. Da sie der Körper nur unzureichend selbst produziert, bedarf es der Hilfe von außen in Form von Obst und Gemüse, die als wahre Vitamin-Bomben kategorisiert werden können. „Je mehr Vitamine, desto besser“ würde man meinen – dem ist aber nicht so, da Vitamine, ähnlich wie Medikamente, eine Art therapeutische Breite besitzen, die den sicheren Zufuhrbereich, innerhalb dessen ein Nähr- oder Wirkstoff seine gesundheitsförderliche oder krankheitsbekämpfende Wirkung entfaltet, beschreibt.
Obwohl Deutschland von ExpertInnen als kein Vitaminmangelland eingestuft wird, ist die Produktion von Präparaten allein im Jahr 2020 von 162.300 Tonnen (2019) auf satte 180.200 Tonnen gestiegen. Laut BfR führt sich ein Drittel der deutschen Bevölkerung wöchentlich Vitamine über Nahrungsergänzungsmittel zu, jede sechste Person sogar täglich. Der NEM-Boom bezweckt jedoch, dass viele Menschen potentiell gesundheitsschädigende Mengen an isolierten Nährstoffen zu sich nehmen. Während überschüssige Mengen an wasserlöslichen Vitaminen, wie beispielsweise B-Vitamine oder Vitamin C, größtenteils problemlos über den Urin ausgeschieden werden können, trifft dies auf fettlösliche Vitamine leider nicht zu. Werden diese Vitamine, zu denen Vitamin E, D, K und A zählen, in hoch konzentrierter Form aufgenommen, besteht die Gefahr einer Überdosierung.
Hypervitaminose und ihre Folgen
Werden dem Körper regelmäßig Vitamine in überschüssigen Mengen zugeführt, sodass er damit nicht mehr zurechtkommt und Schaden davonträgt, handelt es sich um eine Hypervitaminose. Meist erfolgt diese aufgrund chronischer Überdosierung, die auftritt, wenn über Monate oder sogar Jahre hinweg das Fünffache oder noch mehr der notwendigen Tagesmenge eingenommen wird. Der übermäßige Konsum der Vitaminpräparate kann dann zu krankheitsähnlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Übel- und Müdigkeit, Appetitlosigkeit und sogar Haarausfall führen. Bei langanhaltender Hypervitaminose können sogar irreversible Schäden wie brüchige Knochen, Nierenschäden, Blutungsneigung oder Herzrhythmusstörungen drohen.
Wird beispielsweise bei Männern das notwendige Maß an Folsäure überschritten, steigt das Risiko an Prostatakrebs zu erkranken. Das BfR warnt ebenfalls vor der erhöhten Einnahme von Kupfer, da diese die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig zu sterben, steigern würde. Eine Überdosis Vitamin A kann insbesondere bei RaucherInnen gefährlich werden, da bereits ein Überschuss von 20 Milligramm pro Tag das Risiko an Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Lungenkrebs zu erkranken, steigen lässt. Zudem schädigt eine überhöhte Vitamin-A-Zufuhr nachweislich den Knochenbau. Wird Vitamin D überdosiert, können Erbrechen, Durchfall und Kopfschmerzen folgen. Zudem kommt es nach längerem exzessiven Supplementieren zu Kalkablagerungen in den Gefäßen und Organen. Ein Übermaß an Vitamin E erhöht abermals die Chance an Prostatakrebs zu erkranken. Einige Studien belegen zudem den Zusammenhang zwischen einer vorzeitigen Sterblichkeit und überdosiertem Vitamin E.
Causa NEM: Ja oder Nein?
Die Supplementierung der Ernährung durch Vitamine und Mineralstoffe ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn eine Unterversorgung droht oder ein diagnostizierter Mangel vorherrscht. Der Einnahme von Vitaminpräparaten sollte daher stets ein ärztliches Gespräch vorangehen, wo etwaige Nährstoffmängel diagnostiziert werden können. Obgleich Deutschland nicht das Prädikat „Vitaminmangelland“ erhält, kann es mitunter zu einer tatsächlichen Unterversorgung kritischer Vitamine unter Erwachsenen kommen. Hierzu zählen Vitamin B12 bei vegan lebenden Menschen, Vitamin D während der Wintermonate, Folsäure vor und während der Schwangerschaft sowie Eisen bei Frauen in den Wechseljahren.
Der erste Schritt in Richtung optimaler Deckung des Nährstoffbedarfs sollte daher die Umstellung auf eine abwechslungsreichere, gesündere, Obst- und Gemüse-lastigere Ernährung sein. Die Aneignung von ernährungswissenschaftlichem Grundwissen ist ebenfalls von Vorteil, da auf diesem Wege nicht nur ein Perspektivenwechsel auf das eigene Körperverständnis, sondern auch auf die Nahrungsergänzungsmittelbranche erfolgt. So können beispielsweise überteuerte, als hochwirksam angepriesene Produkte, die jedoch keinen gesundheitlichen Mehrwert bieten, identifiziert werden. Sowohl Körper als auch Brieftasche werden dafür dankbar sein.
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