Ganz klar: Übermäßiger Alkoholkonsum schadet der Gesundheit und raubt uns unserer grauen Zellen. Aber wie steht es denn nun mit der Annahme, ein tägliches Glas Rotwein könne das Gegenteil bewirken? Eine neue Studie scheint dies zu bestätigen. Denn gemäßigter Konsum von alkoholischen Getränken soll sich tatsächlich positiv auf unsere kognitiven Fähigkeiten auswirken. Das Ergebnis der amerikanischen Langzeituntersuchung war deutlich: Der mentale Status von Gelegenheitstrinkenden sowie deren Wortschatz und Worterinnerung war im Vergleich zu Nichttrinkenden nachweislich ausgeprägter. Ein Startschuss für ungezügelten Alkoholkonsum sind diese Erkenntnisse jedoch nicht…
Auswertung einer Langzeitstudie
Im Jahr 1992 begannen amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen der sogenannten „Health und Retirement Studie“ (HRS) alle zwei Jahre allgemeinmedizinische Daten von um die 20.000 Menschen aus den USA zu erheben. Die vorliegende Untersuchung stellt eine Sekundäranalyse dieser Langzeitstudie dar. Hierfür bezog man sich auf Patientendaten ab der dritten Erhebungswelle (ab 1996), um zu gewährleisten, dass die Teilnehmenden mindestens drei Gesundheits-Checks hinter sich hatten. Im englischsprachigen Fachjournal „JAMA Network Open“ hat man jüngst die Ergebnisse dieser Analyse zusammengetragen. Im Rahmen der HRS führten die Forschenden ab 1998 bei allen Probanden auch kognitive Funktionstests durch. Zuvor war dies nur bei Studienteilnehmenden ab einem Alter von 65 Jahren der Fall gewesen.
Stärkt moderater Alkoholkonsum kognitive Fähigkeiten?
Folgende Bereiche fanden bei besagten kognitiven Tests Beachtung:
- Worterinnerung
- Wortschatz
- Mentaler Status, d.h. Gedächtnisleistung, Konzentrationsfähigkeit, Orientierung, Urteilsvermögen und mathematische Fähigkeiten
Die vorliegende Studie fokussierte sich hierbei auf den Zusammenhang zwischen einem geringen bis moderaten Alkoholkonsum und der kognitiven Funktion der Betroffenen und ob dieser eine Veränderung der kognitiven Funktion zwischen mittlerer Lebensphase und Alter zur Folge hat. In diesem Kontext definierten die Forschenden geringen bis moderaten Alkoholkonsum als weniger als acht Drinks wöchentlich bei Frauen und weniger als 15 Drinks pro Woche bei Männern. Ein Drink entsprach dabei einem kleinen Glas Wein (150 ml) oder Bier (350 ml). Anschließend verglich man die Ergebnisse mit den kognitiven Funktionen von Nichttrinkenden bzw. stark Trinkenden. Insgesamt spielten dabei die Daten von 19.887 Personen eine Rolle. Das Durchschnittsalter betrug 61,8 Jahre.
Kein Freibrief für exzessiven Alkoholkonsum
Das Resultat: Geringer bis moderater Alkoholkonsum führte zu einer verbesserten kognitiven Funktion sowie zu schwächerem kognitiven Abbau, dessen Wahrscheinlichkeit verglichen mit Nichttrinkenden um 34 Prozent geringer war. Zudem erzielten die moderaten Trinkenden bessere Ergebnisse, was den mentalen Status, die Worterinnerung und den Wortschatz anging. Aber die Studie zeigt auch, dass die Menge entscheidend ist: Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und kognitiver Funktion ließ sich in einer deutlichen U-Kurve abbilden. Denn durch starkes Trinken verschlechtert sich die kognitive Funktion rapide. Letztendlich handelt es sich bei Alkohol nämlich immer noch um ein Zellgift, das insbesondere die Nerven- und Gehirnzellen angreift. Exzessiver Alkoholkonsum bringt schwere Gesundheitsschäden mit sich. Er schadet der Leber und kann aufgrund der neurologischen Beeinträchtigung tödlich enden.
Gründe noch unbekannt
Warum leichter Alkoholkonsum Vorteile für die kognitive Funktionsfähigkeit bringt, ist noch ungeklärt. Experten vermuten, dass gefäßschützende Effekte sowie positive Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel dahinterstecken. Denn früheren Studien zufolge soll ein Glas Rotwein pro Tag das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung vermindern. Nichtsdestotrotz konnte moderater Alkoholkonsum bislang noch nicht eindeutig als Grund für eine positive Entwicklung der Gefäß- und Gehirngesundheit identifiziert werden. Auch viele andere Faktoren leisten einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der kognitiven Funktion und zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Krankheiten. Dazu zählen unter anderem eine gesunde Ernährung in Kombination mit ausreichend Bewegung sowie die Reduktion von Übergewicht und die Senkung von erhöhtem Blutdruck.
Dr. Weigl erklärt alles rund um das Thema Alkohol und Schmerzen:
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