„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ – bereits Ludwig Wittgenstein maß der Sprache eine unermessliche Bedeutung bei und erkannte von welch unschätzbarem Wert sie für die Menschheit ist, sei es auf naturwissenschaftlicher, sozialer oder philosophischer Ebene. Die Fähigkeit mit den Mitmenschen zu kommunizieren zu verlieren stellt zweifelsohne ein schweres Schicksal für Betroffene dar. Aphasie lautet der medizinische Fachterminus dafür und bedeutet übersetzt so viel wie „ohne Sprache“ bzw. „Sprachverlust“. In den letzten Wochen wurde weltweit von der kuriosen Sprachstörung berichtet, insbesondere im Zusammenhang mit dem berühmten „Stirb langsam“-Star Bruce Willis, der sich aufgrund der Erkrankung nun aus dem Showbusiness zurückziehen musste. Ein Bericht über ein ominöses Phänomen, das bedeutend verbreiteter ist, als es so mancher vermuten mag.
Wenn die Sprache schwindet
Laut dem Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker (BRA) leben allein in Deutschland ca. 200.000 Menschen mit der Diagnose Aphasie. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es sich bei der Aphasie um keine Behinderung oder Sprechstörung handelt, sondern um eine erworbene Sprachstörung. Sie ist folglich nicht angeboren, sondern wird erst durch Erkrankungen, Schädigungen bzw. Anomalien der für Sprache zuständigen Bereiche im Gehirn ausgelöst. Dabei ist nicht das Bilden von Wörtern wie beispielsweise beim Stottern gestört, sondern die zugrunde liegende Fähigkeit Sprache allgemein im Gehirn zu codieren bzw. zu decodieren. AphasikerInnen haben aufgrund dessen oftmals Probleme beim Sprechen und Verstehen, häufig auch beim Lesen und Schreiben. Das Erkennen von Zusammenhängen sowie das Verstehen bzw. die Analyse nichtsprachlicher Signale und Situationen gelingen dem Großteil der Betroffenen jedoch, wodurch abermals bestätigt wird, dass es sich bei Aphasie um keine geistige Einschränkung handelt. AphasikerInnen selbst beschreiben das Krankheitsbild wie folgt: Es sei in etwa so, als lägen einem die Worte bereits auf der Zunge, kämen jedoch nicht aus dem Mund heraus.
Von Ursachen und Symptomen …
Auslöser für eine Aphasie können diverse Formen von Schädigungen im Gehirn sein, wobei sie in 80 Prozent der Fälle in Folge eines Schlaganfalls (Apoplexie) entsteht. Die Sprachstörung kann aber auch nach einem Schädel-Hirn-Trauma (Gehirnerschütterung oder andere Verletzung des Schädels) oder nach Tumoren, Hirnblutungen (Angiome, Aneurysmen), Entzündungen des Gehirns (Meningitis, Enzephalitis), Vergiftungen sowie anderen Erkrankungen des zentralen Nervensystems auftreten.
Je nach Art und Ursache des Hirnschadens können die Symptome unterschiedlich ausgeprägt sein. Kommunikationsschwierigkeiten sind jedoch unausweichlich, da das gesamte Sprachsystem von der Störung betroffen ist. Weitere gängige Krankheitszeichen sind Probleme mit dem Sprachverständnis, Wortfindungsschwierigkeiten, Fehler im Bereich der Syntax, Lexik und Phonetik, Lese-Sinn-Verständniskomplikationen sowie Probleme beim Schreiben. Zur Aphasie kommen oftmals auch andere neurologische Störungen, wie z.B. Schluckstörungen, Krampfanfälle, halbseitige Lähmung oder Gedächtnisstörungen, mit denen Betroffene zu kämpfen haben.
… und Formen der Aphasie
Von der Aphasie sind diverse Formen bekannt, grundsätzlich lassen sich jedoch vier Haupttypen unterscheiden. Die leichteste Form ist die Amnestische Aphasie, die sich vor allem durch einen gestockten Redefluss seitens der Betroffenen bemerkbar macht, insbesondere bei spontanem Sprechen. Als Auslöser hierfür können die oben aufgeführten Wortfindungsschwierigkeiten genannt werden, die sich z.B. dadurch bemerkbar machen, dass AphasikerInnen gehäuft Umschreibungen oder Redefloskeln benutzen. Das nächste Standardsyndrom, die sogenannte Broca-Aphasie oder motorische Aphasie, zeichnet sich durch einen „Telegrammstil“ aus. Da das Sprachverständnis weitestgehend vorhanden ist, können Betroffene relativ gut verstehen und auch selbst in kurzen Sätzen sprechen: „Statt ‚Der Bub spielt mit dem Ball‘ sagen sie ‚Bub spielen Ball'“, erklärt Neuropsycholinguistin Jacqueline Stark, die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über 40 Jahre lang zu Aphasie forschte.
Die Wernicke-Aphasie kann als das Gegenstück zur Broca-Aphasie kategorisiert werden, denn obgleich bei dieser Variante der Redefluss intakt ist, ist das Sprachverständnis gestört. Die Kommunikation entpuppt sich als unzusammenhängender Wortsalat. Lange, verschachtelte Sätze, die von semantischen Fehlern gefüllt sind und schlichtweg keinen Sinn ergeben, sind die Folge. „Die schwerste Form ist die globale Aphasie, weil dabei alle sprachlichen Modalitäten betroffen sind: Sprechen, Verstehen, Lesen, Schreiben“, sagt Stark. Erkrankte nutzen dann oftmals nur sich wiederholende Silben wie etwa „dadada“ zur Kommunikation. Weiters ist das Sprachverständnis zum Teil so stark gestört, dass AphasikerInnen nur noch einzelne Worte verstehen oder sich die Bedeutung des Gesagten aus der Situation heraus erschließen.
Von welcher Art der Aphasie Bruce Willis nun betroffen ist, ist der Öffentlichkeit bis dato nicht bekannt. Auch die Expertin kann nur Spekulationen anstellen: Es handle sich wohl um keine Aphasie akut nach einem Schlaganfall, sondern um einen eher schleichenden Prozess. Das klingt für die Neuropsycholinguistin nach einer sogenannten primären progressiven Aphasie, die durch eine sukzessive schlechter werdende Sprache gekennzeichnet ist. Wortfindungsstörungen können hierbei als initiales Symptom kategorisiert werden, die über Jahre auch das führende und einzige Krankheitszeichen bleiben würden.
Therapieansätze
Obwohl sich bei manchen SchlaganfallpatientInnen die Sprachstörung nach drei bis vier Wochen wieder von selbst zurückbildet, sollten sich Betroffene so früh wie möglich sprachtherapeutisch behandeln lassen. Aufgrund der Individualität jeder Aphasie ist vor Beginn der Behandlung eine umfassende Diagnostik von größter Relevanz, um auf dieser Basis spezifische Ziele definieren zu können. In den meisten Fällen beinhaltet eine Therapie jedoch Sprech-, Konzentrations- sowie Verständnisübungen. Wahrnehmung und Verständnis von Sprache sollen verbessert werden, ähnlich ist es mit der Sprachproduktion, die Grammatik, Wortfindung und Aussprache umfasst. Lesen und Schreiben werden trainiert, ebenso Kommunikations- und allgemeine störungsspezifische kognitive Fähigkeiten.
Der Weg zur optimalen Therapieform kristallisiert sich jedoch oftmals als Herausforderung heraus, wie Stark berichtet, denn: „Viele Betroffene verstehen durch ihre Krankheit nicht, was von ihnen verlangt wird.“ Aphasie – eine Erkrankung, die den Wert der als so selbstverständlich erachteten Fähigkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation auf dramatische Art und Weise demonstriert – und ihr möglicherweise etwas mehr Wertschätzung zukommen lässt.
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