Adipositas gilt schon seit langem als bedeutender Risikofaktor für zahlreiche körperliche Erkrankungen. Eine neue Studie deckte nun auf, dass massives Übergewicht auch mit psychischen Krankheiten korreliert. Forschende der MedUni Wien sowie des Complexity Science Hub Vienna berücksichtigten hierbei die Daten aller stationären Krankenhausaufenthalte in Österreich aus den Jahren 2003 bis 2014.
Adipositas und psychische Krankheiten weit verbreitet
Weltweit ist mehr als eine von drei Personen adipös – diese Zahl stieg in den letzten Jahrzehnten immer weiter an. Immer häufiger sind auch junge Menschen von Adipositas betroffen. Massives Übergewicht begünstigt Kreislaufstörungen, einen erhöhten Triglyceridspiegel, niedrige High-Density-Lipoprotein-Cholesterinwerte (HDL-Werte) sowie hohen Blutdruck, wodurch sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen signifikant erhöht.
25 Prozent der Weltbevölkerung werden voraussichtlich an einem Punkt in ihrem Leben an einer psychischen Störung leiden. Massives Übergewicht kann nicht nur das allgemeine psychische Erkrankungsrisiko erhöhen, sondern auch einen schweren Erkrankungsgrad begünstigen. Eine westliche Ernährung mit einem hohen Fettanteil begünstigt Entzündungen und wirkt sich negativ auf das Darmmikrobiom und neurotrophe Faktoren aus, also auf die Biomoleküle, die wichtig für das Wachstum, Überleben und die Differenzierung von Neuronen sind. Das begünstigt wiederum die Entstehung seelischer Krankheiten wie etwa Depressionen.
Betroffene psychischer Erkrankungen meist bereits mit Adipositas diagnostiziert
Im Rahmen der Studie untersuchten die Experten Wechselwirkungen zwischen Adipositas und psychischen Erkrankungen. Hierbei stellte sich heraus, dass bei 60 Prozent der Patienten im Zuge desselben Krankenhausaufenthalts sowohl Nikotinsucht als auch Adipositas diagnostiziert wurden. In 25 Prozent der Fälle wurden Fettleibigkeit und Depressionen beim selben Krankenhausaufenthalt diagnostiziert. In den meisten Fällen wurde massives Übergewicht als erste der beiden Diagnosen gestellt, insbesondere bei weiblichen Patienten. Vor allem bei Menschen zwischen 40 und 59 Jahren war eine erneute Diagnose von Depressionen besonders häufig.
In der Studie konnte zudem ein Zusammenhang zwischen Adipositas und einer diagnostizierten psychischen Krankheit bei zunehmendem Alter festgestellt werden. Bei Essstörungen nahm die gemeinsame Diagnose Übergewicht mit einer psychischen Krankheit bei steigendem Alter, insbesondere jedoch in der Altersklasse 40 bis 49 Jahre, ab. Bei einem Drittel der Patienten wurde Adipositas gemeinsam mit Angststörungen oder Somatisierungsstörungen diagnostiziert. Persönlichkeitsstörungen wurden am häufigsten bei adipösen Patienten aus der Altersgruppe 10 bis 19 Jahre diagnostiziert.
Deutliche Geschlechterunterschiede
In der Studie konnte festgestellt werden, dass es bezüglich der erhaltenen Diagnosen starke Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Frauen wiesen ein erhöhtes Risiko für alle Diagnosen auf, ausgenommen Schizophrenie und Nikotinsucht. Ein Grund für diese Differenz sind Geschlechtshormone, soziale Belastungen sowie soziale Ungleichheiten.
Die Forscher ziehen aus den vorliegenden Ergebnissen den Schluss, dass eine Adipositas-Diagnose für Patienten ein langanhaltendes erhöhtes Risiko für psychiatrische Diagnosen bedeuten kann – unter anderem für Depressionen, Angst- und Essstörungen, Psychosen sowie Persönlichkeitsstörungen.
Warum beeinflusst Übergewicht die mentale Gesundheit?
Übergewichtige Menschen können im Alltag das Problem haben, dass ihre beeinträchtigte körperliche Gesundheit, beispielsweise in Form von chronischem Leiden, die Partizipation an Aktivitäten, die ihnen Spaß machen, erschwert. Dieser Ausschluss kann zu Einsamkeit oder auch sozialer Isolation führen. Auch von chronischen Schmerzen ist bekannt, dass sie zu Depression führen können.
In den letzten Jahren konnte man anhand der Body Positivity Bewegung beobachten, wie sich langsam ein vielfältigeres Bild von schönen Körpern in den Medien entwickelte. Dennoch werden Menschen, die nicht als dünn gesehen werden, oft negative Attribute zugeschrieben. Im sozialen Umfeld wie der Familie, dem Freundeskreis und dem Arbeitsplatz kann es zu herablassendem und sogar diskriminierendem Verhalten kommen. Auch der medizinischen Behandlung übergewichtiger Personen kann es an Qualität mangeln. Die geschilderten Leiden der Patienten werden oft an ihr Gewicht gekoppelt, was dazu führen kann, dass die korrekte Diagnose erst spät gestellt wird.
Wie geht das Gesundheitssystem mit Adipositas um?
Eine Studie von Rebecca M. Puhl und Chelsea A. Heuer zum Thema Stigmatisierung von Adipositas kam zu dem Schluss, dass Diskriminierung und Stigmatisierung adipöser Menschen Auswirkungen auf deren psychische und körperliche Gesundheit haben. Anstatt am öffentlichen Gesundheitswesen etwas zu ändern und gegen das Stigma vorzugehen, wird die bisherige Vorgehensweise jedoch oft damit gerechtfertigt, massiv übergewichtige Personen motivieren zu wollen, gesünder zu leben.
Die mentale Gesundheit adipöser Menschen ist auch ein Anliegen des Forschungsteams an der Uni Wien: Die Forschenden hoffen mit ihrer Studie ein größeres Bewusstsein für die psychischen Probleme von adipösen Patienten zu schaffen. Aufgrund des langanhaltenden Risikos für Patienten nach einer Adipositas-Diagnose mit einer psychischen Krankheit diagnostiziert zu werden, appellieren die Forschenden der MedUni Wien und des Complexity Science Hub Vienna an Kliniker nach relevanten Symptomen Ausschau zu halten, um den Patienten die bestmögliche Behandlung zu bieten.
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