Achtsamkeit ist unter anderem ein Überbegriff für verschiedene Praktiken der Meditation sowie Atem- und Yogaübungen. Im Fokus steht der Moment – Gedanken und Gefühle werden wahrgenommen und so akzeptiert, wie sie sind. Dies soll nicht nur Stress reduzieren, sondern auch Burnout vorbeugen und chronische Schmerzen lindern. Aber worin genau liegt das Geheimnis der Achtsamkeit? Was macht sie mit unserem Körper?
Regelmäßiges Meditieren verändert das Gehirn
Achtsamkeit ist gefragter denn je. Ursprünglich aus der Lebensphilosophie des Buddhismus kommend, ist sie in der westlichen Welt vor allem in Form von Meditationsübungen bekannt. Unter Wissenschaftlern war die Wirkung der Achtsamkeitspraxis lange nicht anerkannt – sie wurde einfach in die Esoterikecke abgeschoben. In den letzten Jahren konnten Studien deren heilsame Effekte auf Körper und Geist jedoch eindeutig belegen: So zeigte etwa ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam, dass die Teilnahme an einem achtwöchigen Achtsamkeitsmeditationskurs messbare Veränderungen in Hirnregionen bewirkt, die für Gedächtnis, Selbstwahrnehmung, Empathie und Stressreaktionen zuständig sind.
In acht wöchentlichen Gruppensitzungen übten die Kursteilnehmer Achtsamkeitsmeditation und trainierten zusätzlich zuhause mit angeleiteten Tonaufnahmen. Nach einer durchschnittlichen täglichen Übungszeit von 27 Minuten zeigten Analysen der Hirnstrukturen eine Zunahme der grauen Substanz im Hippocampus. Diese Hirnregion unterstützt Lern- und Gedächtnisprozesse. Auch Regionen, die für Selbstwahrnehmung und Mitgefühl zuständig sind, zeigten einen Zuwachs. Zugleich schrumpfte der sogenannte Mandelkern, wo unser Angstzentrum sitzt. Das bedeutet: Achtsamkeit macht uns laut jener Studie einfühlsamer, weniger gestresst und ängstlich und hilft außerdem beim Lernen.
Mindfulness-Based Stress Reduction als Schmerztherapie
Auch gegen Schmerzen soll Achtsamkeit helfen. Der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn hat Ende der 1970er Jahre das Konzept der sogenannten Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) entwickelt. Es richtet sich an Patienten mit chronischen Schmerzen, Depressionen, Essstörungen und Drogenproblemen. Das achtwöchige Programm beinhaltet neben meditativen Atemübungen auch verschiedene Yoga-Übungen sowie den sogenannten Body-Scan. Bei dieser Übung wird die Aufmerksamkeit ganz auf den Moment gelenkt. Im Mittelpunkt steht das Wahrnehmen: Gedanken, Körperempfindungen und Sinneseindrücke werden wahrgenommen, ohne sie zu bewerten. Auf diese Weise sollen die Patienten eine Akzeptanz des Schmerzes erreichen. Die Schmerzen gehen damit zwar nicht unbedingt weg, werden aber als weniger schlimm empfunden. Deutsche Krankenkassen bezuschussen MBSR-Kurse mittlerweile.
Veränderter Hormonspiegel im Blut
Auch im Blut zeigt sich die Wirkung von Achtsamkeit: Bei regelmäßiger Meditation verändert sich der Hormonspiegel und Stress wird reduziert. „Stress kann auf Dauer das Immunsystem schwächen. Umgekehrt wird es stärker, wenn der Patient entspannt ist“, so Mind-Body-Medizinerin Anna Paul von der Klinik Essen-Mitte. In diesem Zusammenhang wurde die Achtsamkeitspraxis auch bei unterschiedlichen Krankheiten untersucht. Besonders bei psychischen Problemen wie Depressionen oder Angststörung, aber auch bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom), Migräne oder Essstörungen wurde Achtsamkeitstraining bereits erfolgreich eingesetzt. Zur direkten Behandlung einer körperlichen Erkrankung sei Meditation zwar kein Mittel, begleitend könne sie aber durchaus Vorteile bringen.
Kritik am Achtsamkeits-Hype
Die Anzahl an Forschungsarbeiten zu dem Thema ist beeindruckend und steigt immer weiter. Doch dem Achtsamkeits-Hype wird auch Kritik entgegengebracht. Eine Schwierigkeit betrifft etwa die Frage der Messbarkeit: Ein großer Teil der psychologischen Forschung zu Achtsamkeit beruht auf der Verwendung von Fragebögen zur Selbsteinschätzung, welche eine gute Selbstbeobachtung voraussetzen. Studien, die zu einer nicht-signifikanten Wirkung von Achtsamkeit kommen, sind häufig wenig bekannt – es besteht ein sogenannter publication bias, eine Verzerrung zugunsten publizierter, signifikanter Ergebnisse.
Nicht zuletzt wird Achtsamkeit dafür kritisiert Stress sogar eher zu fördern als zu reduzieren; denn oft wird etwa eine 20-minütige Achtsamkeitsübung dazu eingesetzt, um danach umso schneller, besser und innovativer zu sein – und noch mehr zu leisten. Kritikwürdige Umstände würden dadurch ignoriert und einfach „weggeatmet“. Dies würde gesellschaftliche Schieflagen akzeptieren, wo eigentlich Kritik und Lösungsansätze gefordert wären.
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