Pochende Kopfschmerzen, Übelkeit und ausgeprägte Lichtempfindlichkeit – wohl kaum jemand kann Migräne etwas Positives abgewinnen. Umso mehr überraschen die Ergebnisse eines amerikanischen Forschungsteams: Den Wissenschaftlern zufolge könnte eine Migräneerkrankung ungeahnte gesundheitliche Vorteile mit sich bringen.
Zusammenhang zwischen Diabetes und Migräne
Im Rahmen eines Forschungsprojekts wollten Mediziner der University of Tennessee herausfinden, warum Migränepatienten seltener an Diabetes Typ 2 erkranken. Im Zuge dessen untersuchten die Forscher, inwieweit sich die migräneverursachenden Peptide CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) und PACAP (Hypophysen-Adenylat-Cyclase-Activating Polypeptide) auf den Insulinhaushalt bei Mäusen auswirken. Diese Eiweißstoffe scheinen die Insulinproduktion durch die Regulierung der Insulinkonzentration oder durch Steigerung der sogenannten Betazellen in der Bauchspeicheldrüse zu beeinflussen. Bereits vor Beginn der Studie wusste das Team darüber Bescheid, dass diese zwei Peptide zu den starken Kopfschmerzen bei einem Migräneanfall beitragen. Beide Proteine sowie das verwandte Peptid Amylin befinden sich auch in der Bauchspeicheldrüse, wo sie die Ausschüttung von Insulin aus den Betazellen regulieren.
Schlüsselhormon Insulin
Insulin nimmt eine zentrale Rolle bei der Kontrolle des Blutzuckerspiegels ein: Das Hormon fördert die Glukoseaufnahme in den Zellen und bestimmt, ob die Kohlenhydrate eingelagert oder für die Energiegewinnung verwendet werden. Bei der Krankheit Diabetes Typ 2 entwickeln die insulinabsorbierenden Zellen eine Resistenz gegen das Hormon und sind folglich auch nicht mehr dazu in der Lage, Glukose aufzunehmen – ein erhöhter Blutzuckerspiegel ist die Folge. Obwohl Betazellen diese Fehlfunktion vorerst durch eine gesteigerte Insulinproduktion kompensieren, werden die Zellen im Laufe der Zeit immer stärker beschädigt, wodurch sich die Komplikationen vermehren.
Bedeutende Angriffspunkte entschlüsselt
Da CGRP und PACAP sowohl den Krankheitsverlauf von Migräne als auch von Diabetes signifikant beeinflussen, bietet die Peptid-Kombination wesentliche Angriffspunkte, die sich bei der Behandlung beider Erkrankungen als vorteilhaft erweisen könnten. Vor Kurzem wurde ein Arzneimittel gegen Migräne zugelassen, das die Wirkung von CGRP und seiner zellulären Rezeptoren zugunsten der Therapie abändert. Dennoch seien weitere Experimente erforderlich, um mehr über die Auswirkung der Peptide zu erfahren und bisher widersprüchlichen Forschungsergebnissen zu dieser Thematik entgegenzuwirken.
Peptide im Maus-Modell untersucht
Um genauere Informationen über die Aktivität der Peptide zu erhalten, entwickelten die Forscher eine Taktik, die es ihnen ermöglicht, die Daten mehrerer Hundert Betazellen zu sammeln. Für die Umsetzung der Experimente kamen Mäuse als Versuchsobjekte zum Einsatz. Dank der neuen Methode gelang es den Medizinern schließlich zu beweisen, dass CGRP die Konzentration von Maus-Insulin 2 reduzierte. Hierbei handelt es sich um ein tierisches Pendant zum menschlichen Insulin. Der niedrige Insulinspiegel der Tiere führte zu einer verringerten Insulinresistenz, die wiederum diabetestypische Beschwerden linderte. Trotz dieser positiven Auswirkungen stellte sich CGRP bei der Regulierung von Maus-Insulin 1 als wenig effektiv heraus. Frühere Studien deuteten bereits darauf hin, dass Mäuse mit diesem Insulintyp ein höheres Diabetesrisiko aufweisen.
Potenzieller Zellschutzmechanismus
Zudem stehe die Erkrankung in Zusammenhang mit Ansammlungen des blutzuckerregulierenden Hormons Amylin. In großen Mengen begünstigt das Peptid Schäden der Bauchspeicheldrüse, welche in weiterer Folge zu Diabetes führen können. Da Betazellen Amylin und Insulin gleichzeitig freisetzen, könnte der Einsatz von CGRP die Produktion beider Stoffe effektiv einschränken. Auf diese Art und Weise würden Zellen langfristig geschützt werden, sodass sie wieder ihre natürliche Funktion aufnehmen könnten.
Auch PACAP wird eine protektive Wirkung gegen Diabetes nachgesagt, obwohl es erwiesenermaßen die Insulinfreisetzung anregt. Die Forscher beschlossen diesem vermeintlichen Widerspruch auf den Grund zu gehen. Im Verlauf der Experimente kamen sie zu der Erkenntnis, dass PACAP das Insulin glukoseabhängig beeinflusst und die Bildung neuer Betazellen vorantreibt. Dieser Effekt sei von hoher Relevanz, da somit der Abnutzung bestehender Zellen vorgebeugt wird.
Therapiekonzept noch ausbaufähig
„Trotz dieser positiven Ergebnisse kann man CGRP und PACAP nicht als therapeutische Strategie für Diabetes in den Körper injizieren, da diese Peptide Migräneschmerzen verursachen“, erläutert das Forschungsmitglied Dr. Thanh Do. „Sobald wir aber verstehen, wie sie ihre Wirkung auf die Insulinsekretion ausüben, können wir Peptidanaloga entwickeln, die das Insulin kontrollieren, aber nicht an den Schmerzrezeptor binden“, fügt der Experte hinzu.
Angesichts der Tatsache, dass CGRP und PACAP Diabetes gezielt entgegenwirken, sei es essenziell jene medikamentösen Therapien kritisch zu hinterfragen, die die Wirkung dieser Peptide hemmen. Die Forscher gehen davon aus, dass derartige Arzneimittel das Diabetesrisiko unter Umständen erhöhen könnten. Darüber hinaus sei der gesundheitsfördernde Effekt dieser Eiweiße nicht auf die Diabetesprävention beschränkt – die Peptide tragen außerdem zur Erweiterung der Blutgefäße bei, wodurch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert wird.
Was meinen Sie?