Der gelblich-durchsichtige Bernstein kann nicht nur als beliebtes Schmuckstück überzeugen, sondern wird seit Jahrhunderten auch für medizinische Zwecke verwendet. Mit Bernsteinpulver angereicherte Elixiere und Salben weisen beispielsweise eine hohe antibakterielle und entzündungshemmende Wirkung auf. Aufgrund welcher Bestandteile der Bernstein diese Eigenschaften besitzt, blieb für Wissenschaftler und Fachleute bisher weitgehend ungeklärt. Nun gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Inhaltsstoffe des Bernstein zukünftig erfolgreich in der Behandlung von bakteriell-infektiösen Erkrankungen eingesetzt werden könnten.
Das Gold der Ostsee
Das weltweit größte Vorkommnis an Bernstein existiert in der Ostsee-Region. Im Grunde genommen handelt es sich bei den gelblichen Steinen jedoch nicht einmal um Gestein. Bernstein ist lediglich erhärtetes Baumharz, welches von längst ausgestorbenen Kiefern der Familie Sciadopityaceae (Schirmtannengewächse) stammt. Das Harz nützte den Kiefern, um Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und pflanzenfressende Insekten fernzuhalten. Entstanden ist es vermutlich vor rund 44 Millionen Jahren, also in der Zeit des Eozän. Bernstein erfreut sich nicht nur in der Schmuckverarbeitung an großer Beliebtheit, sondern ist mit seinen fossilen Inklusen (konservierte Tiere und Pflanzenteile) und aufgrund seiner medizinischen Wirkung auch für die Wissenschaft hochinteressant.
Neue Möglichkeiten in der Medikation
In einer Studie der University of Minnesota konnten nun Verbindungen im Bernstein entdeckt werden, die mit größter Wahrscheinlichkeit für seine ausgezeichnete antiinfektiöse Wirkweise verantwortlich sind. Damit dürfte der baltische Bernstein in der Entwicklung von neuen Medikamenten gegen antibiotikaresistente Bakterien bald eine wichtige Rolle spielen. Vorangetrieben wurden die Untersuchungen durch das Forscherteam um Dr. Elizabeth Ambrose, welches über Monate hinweg verschiedenste selbst gesammelte und kommerziell erhältliche Bernsteinproben im Labor untersuchte. „Wir wussten aus früheren Forschungen, dass es im baltischen Bernstein Substanzen gibt, die zu neuen Antibiotika führen könnten, aber sie waren nicht systematisch erforscht worden.“, so die Forschungsleiterin.
Aufwendige Untersuchungsverfahren notwendig
Die mitunter größte Herausforderung für die Forschenden stellte die Pulverisierung des Bernsteins dar, welche notwendig war, um Extrakte herzustellen: Schlussendlich nutzte man ein spezielles Tisch-Glaswalzwerk. Mithilfe von verschiedenen Lösungsmitteln und Techniken wurde das hergestellte Bernsteinpulver gefiltert und konzentriert, um seine organischen Verbindungen anschließend in analytisch-chemischen Verfahren zu identifizieren. Die Forscher konnten so eine Vielzahl an Verbindungen mit potenzieller Wirksamkeit feststellen, darunter Abietinsäure, Dehydroabietinsäure und Palustrinsäure (Harzsäuren: Hauptbestandteil natürlicher Harze). In weiterer Folge testete das Team reine Proben der Verbindungen auf ihr Verhalten gegenüber neun verschiedenen Bakterienarten.
Antibiotikaresistenten Bakterien entgegenwirken
Eine besonders entscheidende Erkenntnis aus den Experimenten: Die Verbindungen sind gegen grampositive (blau), nicht aber gegen gramnegative Bakterien (rot) aktiv. Die Wirksamkeit der im Bernstein enthaltenen Verbindungen hängt also grundlegend mit der Systematisierung nach Gramfarbe zusammen. Das Forscherteam nimmt an, dass die unterschiedliche Zusammensetzung der Bakterien-Membran für dieses Phänomen verantwortlich ist. Gramnegative Bakterien haben eine weitaus komplexere Zellwand, welche die Wirkung der Verbindungen vermutlich hemmt. Nichtsdestotrotz stellen die Substanzen im baltischen Bernstein eine vielversprechende Quelle für neue Medikamente dar, die zur Bekämpfung von grampositiven Bakterien eingesetzt werden könnten. Forschungsleiterin Dr. Ambrose sieht hier vor allem in der Behandlung von antibiotikaresistenten Kokken (Kugelbakterien) großes Potenzial. Derzeit wird nun weiter an alternativen Ausgangsprodukten zur Gewinnung der bioaktiven Verbindungen geforscht, um den baltischen Bernstein als fossiles und endliches Vorkommnis zu schützen.
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