Die Entdeckung der Antibiotika war einer der bedeutendsten Schritte der Medizingeschichte. Doch dem Fortschritt folgte das nächste Problem: Nach der Behandlung mit den Arzneimitteln entwickeln einige Bakterien Resistenzen, wodurch die Substanzen unwirksam werden. Jetzt, ungefähr ein Jahrhundert nach der bahnbrechenden Entdeckung der Antibiotika, könnte eine Lösung für das Problem gefunden sein.
Bakteriophagen gegen multiresistente Keime
Antibiotika sind im weitesten Sinne Substanzen, die das Wachstum anderer Mikroorganismen hemmen oder diese abtöten. So werden sie zur Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten eingesetzt. Doch durch ständig neu entstehende Multiresistenzen wird die Liste der wirksamen Antibiotika immer kürzer. Eine Alternative wurde nun von einem Team aus deutschen, schweizerischen und österreichischen Wissenschaftlern erforscht: Viren, die Bakterien als Wirtszellen nutzen. Diese Viren, sogenannte Bakteriophagen, gelten schon länger als vielversprechende Alternative im Kampf gegen multiresistente Keime. Denn im Gegensatz zu Antibiotika wirken die bakterienfressenden Phagen spezifisch. Sie greifen gezielt einen bestimmten Stamm an und können typische Abwehrmechanismen der Bakterien umgehen.
Doch ebendiese selektive Vorgehensweise war bisher auch ihr größtes Problem: „Bakteriophagen sind derart exakt an ihr Wirtsbakterium angepasst, dass selbst eng verwandte Stämme der gleichen Bakterienart nicht mehr von ihnen angegriffen werden. Bislang versuchte man das durch eine geschickte Mischung natürlich vorkommender Phagen zu umgehen. Selbst in günstigen Fällen wirkt diese Phagen-Mixtur oft nur bei der Hälfte aller Zielbakterien und im schlimmsten Fall wirkt er nur auf einen einzigen Stamm von hunderten“, erläutert Prof. Ralf Ehricht, der unter Anderem am InfectoGnostics Forschungscampus Jena tätig ist. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden kürzlich im Fachblatt „Pharmaceuticals„.
Phagenzucht führt zu breiter Wirksamkeit
Um das Problem der hohen Spezifität zu lösen, fingen die Forschenden an, Bakteriophagen zu züchten. Sie kreuzten verschiedene Arten und selektierten die, die die meisten Stämme angreifen konnten. Diese Phagen nannten sie „evolution-squared“ Phagen, kurz ε2, und erstellten aus drei von ihnen eine Art Cocktail. Anschließend testeten sie diesen Virencocktail an 110 Staphylokokken-Stämmen, die bereits zu 43 Prozent aus multiresistenten MRSA-Varianten (Multiresistenter Staphylococcus aureus) bestanden. Doch trotz der hohen Anzahl an Superkeimen zeigten sich die gezielt herangezüchteten Phagen als wirksam: Bei 101 der 110 Bakterienstämme schlug die Behandlung an und das Wachstum wurde gestoppt.
Somit sind die neu entwickelten evolution-squared Bakteriophagen sehr viel wirksamer als die bereits bekannten Wildtypen. Zudem zeigte sich bei den auf diese Weise behandelten Bakterien keine Neigung zur Bildung von Resistenzen. „Das ist ein großer Fortschritt für die Phagentherapie, wodurch sie bei manchen Krankheitsbildern als ernsthafte Alternative zur antibiotischen Behandlung von MRSA-Infektionen in den Fokus rückt“, resümiert Ralf Ehricht.
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