Das „Liebeshormon“ Oxytocin ist bekannt dafür positive Gefühle zu intensivieren. Doch allem Anschein nach kann die Ausschüttung des Hormons auch zu Aggressionen führen. Dies ergab eine neue Studie, welche nun Zweifel an der Therapie verschiedener psychiatrischer Erkrankungen mit Oxytocin aufkommen lässt. Aktuell wird Oxytocin beispielsweise bei Autismus, sozialen Ängsten oder Schizophrenie eingesetzt.
Die Aufgaben von Oxytocin
Oxytocin erfüllt beim Menschen viele wichtige physiologische Aufgaben in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel bei der Fortpflanzung, dem sozialen Verhalten, dem Lernen und dem Herz-Kreislauf. Das sogenannte „Liebeshormon“ steuert darüber hinaus Vorgänge wie die Mutter-Kind-Bindung und das Stillen, und leitet auch die Geburt ein. Einer neuen Forschungsarbeit zufolge kann Oxytocin allerdings auch Aggressionen hervorrufen.
Soziale Folgen von Kontaktverboten
Während der Coronakrise waren Paare auf Grund der Einschränkungen plötzlich gezwungen lange Zeit zusammen in den gleichen vier Wänden zu verharren. In diesem Zuge ist sicherlich bei einigen Pärchen die Liebe neu entflammt, da sie sich endlich Zeit füreinander nehmen konnten. Andere haben die neue Zweisamkeit aber vielleicht nicht ganz so sehr genossen und eine Trennung wurde womöglich unvermeidlich. Bei jedem dieser Szenarien und allem dazwischen spielt Oxytocin eine Rolle, ein Peptid, welches im Gehirn hergestellt wird. Als Neuromodulator kann es bekanntlich positive Gefühle intensivieren.
Eine neue Erkenntnis ist hingegen, dass es offenbar auch zu Aggressionen führen kann. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher des Weizmann-Instituts für Wissenschaft. Zusammen mit einem Team des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie haben sie die Oxytocin-bildenden Gehirnzellen von Mäusen manipuliert und untersucht. Die Erkenntnisse wurden in dem englischsprachigen Fachjournal „Neuron“ vorgestellt.
Studiendetails
Den Experten zufolge basiert eine große Menge des Wissens rund um den Effekt von Neuromodulatoren wie Oxytocin auf Verhaltensuntersuchungen an Labortieren unter herkömmlichen Laborbedingungen, bei denen alle Parameter streng kontrolliert und unnatürlich sind.
Eine Reihe aktueller wissenschaftlicher Studien zeigte allerdings, dass das Agieren von Mäusen in einer halb-natürlichen Umgebung viel mehr Information über ihr natürliches Verhalten gibt. Dies gilt speziell, wenn die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sein sollen. Die Wissenschaftler um Neurobiologe Alon Chen kreierten einen Versuchsaufbau, durch welchen Mäuse in einer Umgebung beobachtet werden konnten, die ihrer natürlichen Lebenswelt ähnelt.
Acht Jahre bis zum Ergebnis
Die Forscher arbeiteten acht Jahre lang an der Untersuchung. Das Verhalten der Versuchstiere wurde mithilfe von Kameras durchgehend überwacht und anschließend computergestützt ausgewertet. Dafür griff das Team auf Optogenetik zurück, eine eigens entwickelte, implantierbare Vorrichtung, mithilfe derer gewisse Nervenzellen im Gehirn ferngesteuert werden können. Sie werden mithilfe von Licht aktiviert oder deaktiviert. Auf diese Weise waren die Wissenschaftler dazu in der Lage das Verhalten der Mäuse in einer natürlichen Umgebung zu studieren und zugleich ihre Hirnfunktionen zu analysieren. Oxytocin war dabei eine Art Testlauf für das experimentelle System, denn das Hormon steht schon seit längerer Zeit unter dem Verdacht nicht nur positive, sondern jegliche Gefühle zu verstärken. So soll Oxytocin die Wahrnehmung sozialer Signale intensivieren und je nach Charakter und Situation auch sozial auffälliges Verhalten fördern. Für die Forschung wurden Mäuse verwendet, bei denen die Oxytocin-bildenden Zellen im Hypothalamus sanft angeregt werden konnten.
Natürliche Bedingungen verändern Wirkung des Hormons
Die Versuchstiere zeigten innerhalb der halb-natürlichen Umgebung zuerst ein intensiviertes Interesse aneinander. Es gesellte sich jedoch rasch zunehmend aggressives Verhalten dazu. Unter herkömmlichen Laborbedingungen kam es durch eine höhere Oxytocinproduktion bei den Mäusen wiederum zu einer geringeren Aggressionsneigung.
Darüber hinaus entspricht aggressives Verhalten bei einem rein männlichen sozialen Umfeld der Natur der Nagetiere – zumindest unter natürlichen Bedingungen, wenn die Tiere um ihr Territorium oder Nahrung konkurrieren müssen. Somit begünstigen die halb-natürlichen Untersuchungsbegünstigungen Konkurrenz und Aggression, während Standardlaborbedingungen diese Seite der Oxytocin-Wirkung eindämmen.
Oxytocin als „Sozialhormon“
Das „Liebeshormon“ sollte daher eher als „Sozialhormon“ bezeichnet werden. Den Wissenschaftlern zufolge hängt die pharmazeutische Verwendbarkeit des Hormons stark vom Kontext und der Persönlichkeit ab, sodass für den Therapiegebrauch eine stark differenzierte Perspektive notwendig ist. Das Forschungsteam gibt an, die Komplexität von Verhalten könne nur dann nachvollzogen werden, wenn man es auch in komplexen Umgebungen studiert. Vorher sind solche Erkenntnisse noch nicht auf den Menschen übertragbar.
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