Reue ist eine negative Emotion, die im Idealfall zu einer positiven Verhaltensänderung führt. Denn bereut man etwas getan zu haben, sollte man das Ereignis – um zukünftige Reuegefühle zu vermeiden – nicht wiederholen. Daher können mit dieser negativen Empfindung grundsätzlich positive Effekte einhergehen. Diese Sichtweise ist vor allem in der Psychologie sehr verbreitet. Wie sich dieses Bedauern in Bezug auf One-Night-Stands (Gelegenheitssex) verhält, untersuchten kürzlich Wissenschaftler der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU).
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Um dem Einfluss des Geschlechts hinsichtlich Reue auf den Grund zu gehen, wurden die Studienteilnehmer im Abstand von fünf Monaten zwei Mal zu ihrem Sexualverhalten und den damit einhergehenden Reuegefühlen befragt. Im Zuge dessen zeigten sich deutliche Unterschiede bei Männern und Frauen. Beide Gruppen empfanden Reue nach kurzfristigen sexuellen Handlungen. Allerdings unterschieden sich die Arten des Bedauerns wesentlich voneinander: Während Frauen ihre One-Night-Stands tendenziell bereuten, bedauerten es Männer vielmehr, wenn sie die Chance dazu nicht wahrgenommen hatten. Frauen bedauerten also ihre Handlungen, Männer hingegen ihre Untätigkeit. Die Funktion der Reue das Verhalten positiv zu beeinflussen müsste demnach dazu führen, dass Männer künftig mehr Gelegenheitssex haben und Frauen weniger – beziehungsweise selektierter bei der Wahl der Geschlechtspartner vorgehen.
Beide Geschlechter ändern ihr Verhalten nicht
Ob und wie sehr das Verhalten bedauert wurde, hing neben dem Geschlecht auch von der jeweiligen soziosexuellen Einstellung ab. Der Faktor, der das Reuegefühl am stärksten beeinflusste, war eindeutig der Ekel – in erster Linie vor sich selbst. Die Ergebnisse der Befragung zeigten jedoch, dass diese Gewissensbisse zu keiner maßgeblichen Verhaltensänderung führten. Auch das Maß der Reue blieb bei wiederholtem Begehen der Fehler im Wesentlichen stabil. Das Verhalten der Frauen und Männer blieb im Allgemeinen weiterhin konstant. Es konnte also kein Lerneffekt verzeichnet werden.
Reue im Alltag
Wenn der Lerneffekt ausbleibt, ist dann nicht der Sinn des Ganzen völlig verfehlt? Wieso lernen wir nicht aus unseren Fehlern? Dieses Phänomen lässt sich auch in vielen anderen alltäglichen Situationen aufgreifen. Beispielsweise in Bezug auf körperliche Fitness: Wie oft nehmen wir uns vor, mehr Sport zu machen oder gesünder zu leben? Jedem Menschen fallen wahrscheinlich ein paar Dinge ein, die am eigenen Verhalten stören. Am Ende des Tages denkt man wieder „Hätte ich nur…“ oder „Warum habe ich nicht…“. Im seltensten Fall aber führt Reue bei diesen Dingen zu einer sofortigen Änderung des Verhaltens. Vielleicht überdenken manche Betroffene ihren Lebensstil und schaffen es am Ende tatsächlich sich weiterzuentwickeln und irgendwann regelmäßig Sport zu treiben – diese Wandlung vollzieht sich meist jedoch nicht über Nacht, nur weil einmal Reuegefühle aufkommen.
Menschliches Verhalten ist komplex – es zu ändern auch
Um zu klären, wieso Reue in der Regel zu keiner Verhaltensänderung führt, muss verstanden werden, dass dieses Gefühl adaptiv ist. Das heißt: Es ist nicht konstant, sondern flexibel. Damit verändert sich diese Emotion nach der jeweiligen Erfahrung und Situation. In Wahrheit hängt unser Verhalten von sehr komplexen Aspekten ab: Gewisse Verhaltensmuster sind tief in unserer Persönlichkeit verankert und können daher nur schwer beeinflusst werden. Menschen, die regelmäßig One-Night-Stands haben, werden auch, nachdem sie dies bedauert haben, höchstwahrscheinlich wieder in dasselbe Muster verfallen, wenn sie in der Stimmung sind. Eine Verhaltensänderung erfordert hier also eine ganze Menge Willensstärke und Disziplin.
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