Eine von acht Frauen erleidet irgendwann in ihrem Leben Brustkrebs – das entspricht jährlich ungefähr 69.000 Patientinnen allein in Deutschland. Obwohl die Krankheit so weit verbreitet ist, konnte bei vielen Fällen bisher nicht geklärt werden, wie genau die Tumore entstehen. Wissenschaftler der Harvard Medical School haben nun Licht ins Dunkel gebracht: Sie konnten die treibende Kraft hinter der Entstehung dieser mysteriösen Brustkrebsfälle identifizieren. Der unerwartete Bösewicht: Östrogen.
Östrogen als Auslöser von Brustkrebs?
In ihrer Studie beschreiben die Forscher aus Harvard einen Prozess auf molekularer Ebene, von dem sie glauben, dass er für die Tumorentwicklung bei etwa einem Drittel aller Brustkrebsfälle verantwortlich ist. Außerdem schreibt ihr Modell dem Geschlechtshormon Östrogen eine neue Rolle in der Krebsentstehung zu: Bisher herrschte die Sicht vor, dass Östrogen lediglich als Katalysator für die Vermehrung von Krebszellen wirkt, da es die Teilung von Brustgewebe stimuliert. Bei diesen Prozessen besteht das Risiko, dass Mutationen entstehen, die schließlich Krebs auslösen. Die neue Studie aus Harvard zeigte jetzt, dass Östrogen zusätzlich auf einem direkteren Wege Schaden anrichten kann. Doch was genau bewirkt das Östrogen in der Brust?
Gefährliche Schäden im Genom
Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst verstehen, was bisher über die Brustkrebsentstehung bekannt war: Die vielen Billionen Zellen in unserem Körper sind ständig dabei sich zu teilen. Bei jeder Teilung erstellt eine Zelle eine Kopie ihrer Chromosomen. (Dabei handelt es sich um Bündel von eng zusammengepresster DNA.) Bei diesem Prozess können Fehler auftreten, sodass die DNA bricht. Wird dieser Schaden nicht richtig repariert, kann es sein, dass die Chromosomen falsch zusammengesetzt werden. Dadurch erwachen inaktivierte Krebszellen aus ihrem Schlaf.
Bricht die DNA, erwachen Krebsgene
Teilt sich die Zelle erneut, wird das falsch zusammengesetzte Chromosom zwischen die neu entstehenden Tochterzellen gespannt. Diese „Brücke“ kann jedoch schnell brechen – sodass Fragmente mit Krebsgenen entstehen, die freigesetzt werden und sich vermehren können. Es ist bereits seit längerem bekannt, dass manche Brustkrebsarten auf diese Weise entstehen. Erstmals wurde dieser Prozess in den 1930er Jahren von der Forscherin Barbara McClintock beschrieben, die später den Nobelpreis für Medizin erhielt. Jedoch kann nicht die Entstehung aller Brusttumore dadurch erklärt werden. Somit blieb die Frage offen: Wie entstehen diese Krebsfälle dann? Die Antwort darauf zu finden, war das Ziel der Forscher der Harvard Medical School.
Östrogen verpfuscht die Reparatur
Dafür analysierten sie die Genome von 780 Brustkrebstumoren. In vielen Proben fanden sie die klassische Anordnung von Chromosomen, wie sie von McClintock beschrieben wurde. Bei einigen Tumorzellen zeigte sich jedoch ein anderes Muster: Anstatt der falsch zusammengesetzten einzelnen Chromosomen waren hier durch missratene Reparaturversuche zwei Chromosomen fusioniert. Außerdem entdeckten sie, dass die Stellen, an denen die frühen Brüche der DNA stattfanden, nahe an Arealen des Genoms lagen, an denen Östrogen gebunden wird.
Um die Rolle des Geschlechtshormons genauer zu untersuchen, wurden Brustkrebszellen in einer Petrischale Östrogen ausgesetzt und ihr Genom durch die CRISPR-Genschere beschädigt. Die Zellen reparierten ihre DNA anschließend – und es zeigte sich das chromosomale Muster, das die Forscher aus Harvard in der vorherigen Analyse der Tumore gefunden hatten. Dieser Befund verdeutlicht: Östrogen beeinflusst, wie gebrochene DNA repariert wird, und kann somit zur Freisetzung von Krebsgenen führen.
Was bringen uns die Erkenntnisse?
Die Ergebnisse demonstrieren, dass Östrogen eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Brustkrebs spielt. Bereits in der Vergangenheit wurden Patientinnen mit Brustkrebs häufig Medikamente verschrieben, die Östrogen unterdrücken, um somit das Wachstum des Tumors zu verhindern. Die neuen Erkenntnisse legen nun nahe, dass diese auch verhindern können, dass die Chromosomen auf falsche Weise zusammengesetzt und somit Krebsgene aktiviert werden. Des Weiteren könnte das neue Erklärungsmodell der amerikanischen Forscher die Basis bilden für die Entwicklung von Tests zur Erkennung von Brustkrebs: So könnten die chromosomalen Muster, die die Studienautoren fanden, als Hinweis auf die Rückkehr eines Tumors bei einer Brustkrebspatientin dienen.
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