Die Diagnose Autismus ist für die Eltern betroffener Kinder ein großer Schock. Schließlich sind viele Autisten geistig behindert und können kein eigenständiges Leben führen. Forscher aus den USA haben nun herausgefunden, was genau bei der frühen Hirnentwicklung von Menschen mit Entwicklungsstörungen passiert – und legten damit vielleicht den Grundstein für Medikamente gegen Autismus. Möglich machte dies eine etwas unheimliche Innovation: im Labor hergestellte Gehirne.
Nervenzellen im Ungleichgewicht
Schon seit längerem weiß man von etwa 500 Genen, die in Zusammenhang mit Autismus und anderen Entwicklungsstörungen stehen. Bisher war aber nicht klar, was genau diese Gene im Gehirn bewirken. Das herauszufinden war das Ziel von Forschern der Stanford University in den USA. Ihre Studie wurde vor kurzem im renommierten Journal „nature“ veröffentlicht.
Im Fokus der Forschungen standen die Neurone im zerebralen Kortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Dort gibt es exzitatorische Neuronen, die andere Nervenzellen aktivieren, sowie inhibitorische Neurone, die einen hemmenden Effekt auf umliegende Zellen haben. Experten vermuten, dass ein Ungleichgewicht in der Anzahl der beiden Neuronen-Arten zur Entstehung von Autismus und anderen Krankheiten wie der Epilepsie beitragen könnte.
„Falls das stimmt, könnte man als therapeutischen Ansatz für diese Entwicklungsstörungen einen Weg finden, die funktionale Balance der Zellen im Kortex zu verändern“, erklärt Sergiu Pasca, einer der Studienautoren, in einer Pressemitteilung der Stanford University. Dafür müsste aber zunächst geklärt werden, welche Rolle verschiedene Gene bei der Krankheitsentstehung spielen.
Gehirne aus der Petrischale
Bisher war es nicht möglich, die frühe Hirnentwicklung bei Menschen zu untersuchen. Sergiu Pasca entwickelte jedoch eine Methode, um dieses Problem zu lösen: Er kreierte sogenannte Gehirn-Organoide – also im Labor hergestellte Zellanhäufungen, die dem Kortex im Gehirn ähneln. Dafür verwendete er menschliche Stammzellen sowie gewisse Moleküle, die das Wachstum dieser Zellen anregten. Die kleinen „Gehirne“ dienten ihm schließlich als Modell, um sogenannte Interneuronen zu untersuchen. Interneurone wirken meist inhibitorisch und entstehen in tieferen Schichten des Gehirns. Von dort aus wandern sie in den Kortex, um zusammen mit exzitatorischen Neuronen komplexe Schaltkreise zu bilden.
Wie man Gene ausschalten kann
Für ihre Analysen verwendeten die Forscher eine weitere Innovation: die Genschere CRISPR. Mit deren Hilfe ist es möglich, bestimmte Gene in der DNA auszuschalten und die Auswirkungen dieser Manipulationen zu beobachten. Die Forscher identifizierten von den 500 bereits bekannten Entwicklungsstörungs-Genen insgesamt 425, die bei den Interneuronen aktiviert sind. Dann löschten sie diese Gene in einem großen Teil der Stammzellen, die für die Produktion der Gehirn-Organoide verwendet wurden.
Autismus: Zu wenig Interneurone als Ursache?
In einigen der daraus entstandenen Organoide gab es keinerlei Interneurone. Weitere Analysen zeigten: Die Löschung von 46 der insgesamt 425 Gene hatte dies bewirkt. Laut Sergiu Pasca spreche dies dafür, dass bei einigen Menschen mit Entwicklungsstörungen wie Autismus offenbar eine schlechte Hemmung von exzitatorischen durch inhibitorische Neuronen für die Symptome verantwortlich ist. Diese Fehlfunktion des Gehirns entsteht durch die in der Studie identifizierten genetischen Veränderungen.
Was ist Autismus?
Etwa ein Prozent aller Menschen weltweit sind autistisch. Die Krankheit kann sich dabei ganz unterschiedlich äußern; daher spricht man auch von der „Autismus-Spektrum-Störung“. Gemeinsam ist allen Betroffenen, dass sie Schwierigkeiten in der Interaktion und Kommunikation mit ihren Mitmenschen haben. Autisten verstehen zwischenmenschliche Signale, etwa ein Lächeln oder Stirnrunzeln, oft falsch. Das erschwert es ihnen, Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten.
Ungefähr 50 Prozent der Autisten sind kognitiv beeinträchtigt, wobei vor allem die sprachlichen Fähigkeiten oft sehr unterentwickelt sind. Charakteristisch für Autisten ist außerdem, dass sie dieselben Verhaltensweisen ständig wiederholen, etwa mit dem Oberkörper vor- und zurückzuschaukeln. Viele Betroffene haben ungewöhnliche Interessen, auf die sie sich stark fixieren. Das können zum Beispiel Superhelden-Comics sein oder aber auch das Auswendiglernen von Busfahrplänen.
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