5,3 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Depressionen. Bei der Behandlung der psychischen Erkrankung kommen je nach Schweregrad verschiedene Therapieansätze zum Einsatz. Neben der Psychotherapie und medikamentösen Behandlungsformen bewährte sich auch ein innovativer Ansatz: die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS). Obwohl diese Methode bereits erfolgreich in der Praxis angewendet wird, galt es bislang als unklar, wie die Therapieform konkret ihre Wirkung entfaltet. Einem amerikanischen Forschungsteam gelang es nun, diesen Prozess zu entschlüsseln.
Wie funktioniert rTMS?
Bei der rTMS wird eine spezielle Spule auf der Kopfhaut des Patienten platziert. Diese Spule erzeugt magnetische Impulse, die in das Gehirn eindringen und dort elektrische Aktivität hervorrufen. Durch wiederholte Stimulation über einen bestimmten Zeitraum hinweg verändern sich die zerebralen Vernetzungen auf eine Art und Weise, dass die Symptome der Depression gelindert werden. Die Methode eignet sich vor allem für jene Patienten, bei denen Antidepressiva keine Wirkung zeigen.
Spezielle Kombinationstherapie getestet
Um die genauen Vorgänge hinter der rTMS besser zu verstehen, entwickelten die Experten zunächst ein mathematisches Verfahren zur Analyse der funktionellen Magnetresonanztomografie. Dieser Ansatz erfasst minimale zeitliche Unterschiede zwischen der Aktivierung bestimmter Gehirnareale. Auf diese Art und Weise konnten die Forscher die Richtung der zerebralen Aktivität ermitteln. Anschließend testeten die Mediziner das innovative Konzept an 33 Probanden mit behandlungsresistenten schweren Depressionen. Von den Teilnehmern wurden 23 Personen einer speziellen Therapieform, der sogenannten Stanford Neuromodulation Therapy (SNT), unterzogen. Hierbei handelt es sich um eine an der Stanford University entwickelten Kombinationstherapie aus rtMS und der sogenannten transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) – ein Ansatz, bei dem schwache elektrische Ströme mittels Elektroden neuronale Aktivitäten im Gehirn verändern. Zehn Versuchsteilnehmer unterliefen einer Scheinbehandlung, bei der die Stanford Neuromodulation Therapy lediglich simuliert wurde.
Interaktion zwischen Gehirnarealen ausschlaggebend
Im Anschluss verglichen die Fachleute die ermittelten Daten mit jenen von 85 Kontrollpersonen ohne Depressionen. Dadurch konnten die Experten Unterschiede hinsichtlich der spontanen Hirnaktivität zwischen depressiven und gesunden Menschen erfassen. Bei der Evaluierung der Daten bemerkten die Mediziner eine Besonderheit in bestimmten Gehirnarealen: Im Gehirn nicht-depressiver Probanden vermittelt die sogenannte anteriore Insula, welche die Körperwahrnehmung maßgeblich beeinflusst, Informationen an jenen Gehirnbereich, der Emotionen reguliert – den anterioren cingulären Kortex. „Man könnte es sich so vorstellen, dass der anteriore cinguläre Kortex Signale wie Herzfrequenz oder Temperatur über den Körper empfängt und dann auf der Grundlage all dieser Signale entscheidet, wie er sich fühlt“, erklärt der Studienautor Anish Mitra.
Abnormale Signalströme als Depressionsursache?
Bei 75 Prozent der depressiven Patienten verlief dieser zentrale Prozess jedoch umgekehrt: Der anteriore cinguläre Kortex sendete Signale an die anteriore Insula. Je stärker die psychische Erkrankung ausgeprägt war, desto mehr stieg die Wahrscheinlichkeit, dass Informationen in die falsche Richtung transportiert wurden. Bei jenen Versuchsteilnehmern, die regelmäßig der Stanford Neuromodulation Therapy unterzogen wurden machten sich jedoch schon bald Behandlungserfolge bemerkbar: Bereits nach einer Woche Therapie gelang es den Medizinern, die Interaktion zwischen der anterioren Insula und dem anterioren cingulären Kortex wieder zu normalisieren, was in weiterer Folge zu einer erheblichen Linderung der depressiven Symptomatik führte. Dieser Effekt konnte am stärksten bei Personen mit besonders schweren Depressionen beobachtet werden.
Bedeutender Biomarker identifiziert
Obwohl nicht alle Menschen, die unter Depressionen leiden, abnormale Gehirnströme aufweisen, handelt es sich laut dem Forschungsteam zufolge dennoch um einen bedeutenden Hinweis, der die Wahl einer geeigneten Therapieform zukünftig erleichtern könnte. Wenn Patienten nämlich auf diesen Biomarker untersucht werden, können Experten berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Betroffene auf die Stanford Neuromodulation Therapy ansprechen. Die Mediziner zeigen sich mit den gewonnenen Erkenntnissen zufrieden: „Dies ist das erste Mal in der psychiatrischen Forschung, dass diese spezielle Abweichung in der Biologie, die den Signalfluss zwischen diesen beiden Hirnregionen betrifft, Veränderungen der klinischen Symptome vorhersagt“, konkludiert Studienautor Professor Nolan Williams von der Stanford University.
Was meinen Sie?