Dass unser Darmmikrobiom, die Gesamtheit aller im Darm lebenden Bakterien, sehr viel wichtiger für unsere Gesundheit ist als lange angenommen, wird immer deutlicher. Die Zusammensetzung der bis zu 1.000 verschiedenen Bakterienstämme beeinflusst nicht nur unsere Verdauung, sondern viele weitere Bereiche wie zum Beispiel das Gehirn und unsere Psyche. Ein gesundes Gleichgewicht dieser vielen Bakterien ist daher maßgeblich für unser Wohlbefinden. Ohne diese Balance können diverse Krankheiten entstehen. Ein Team aus deutschen und schweizer Forschenden zeigte nun, dass diese Bakterienbalance wiederum direkt vom Immunsystem beeinflusst wird. Diese Erkenntnis könnte unter anderem bei der Impfstoffentwicklung von Nutzen sein.
IgA-Antikörper regulieren Bakterien
Die Bakterien im Darm, auch bekannt als Darmflora, spielen eine entscheidende Rolle für die Verdauung. Anders als andere Bakterien greifen Antikörper das Darmmikrobiom daher nicht an. Wie es dem Immunsystem aber gelingt das richtige Gleichgewicht zu halten, ist unklar. Bekannt war bisher nur, dass IgA-Antikörper, die Immunglobuline des Typs A, dabei wichtig sind. Sie erkennen Pathogene nach einem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Eine Gruppe Wissenschaftler um Dr. Tim Rollenske und Prof. Andrew Macpherson der Universität Bern und des Universitätsspitals konnten nun nachweisen, dass IgA-Antikörper gezielt die Fitness von einigen Bakterien einschränken. Das ermöglicht dem Immunsystem, das mikrobielle Gleichgewicht im Darm genauestens zu steuern. „Wir konnten zeigen, dass das Immunsystem spezifisch diese Bakterien erkennt und sowohl im Wachstum als auch in der Aktivität einschränkt“, beschreibt Studienerstautor Dr. Tim Rollenske die Ergebnisse. Die Studie veröffentlichten sie kürzlich im Fachmagazin „Nature“.
Die Mischung macht‘s
IgA-Antikörper sind die im menschlichen Körper am häufigsten vorkommenden Antikörper. Sie werden von spezialisierten Zellen in der Schleimhaut abgegeben und machen zwei Drittel aller Immunglobuline aus. Der größte Anteil von ihnen richtet sich dabei gegen Darmbakterien – allerdings gegen gutartige. Das ist wichtig, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt: Ohne diese Kontrolle durch das Immunsystem würden einige Bakterienstämme sich zu sehr vermehren und zur Bedrohung für die Gesundheit werden. Bisher war allerdings unklar, wie diese Regulierung genau funktioniert, da es nicht möglich war, die Immunglobuline im Tiermodell zu untersuchen. Den Forschenden aber gelang es nun genug IgA-Antikörper gegen ein bestimmtes Darmbakterium zu produzieren, sodass der Mechanismus erkennbar wurde. Dafür untersuchten die Forschenden die Darmbakterien von Mäusen, wo sich zeigte, dass die Antikörper die Bakterien auf verschiedene Arten beeinflussten: Zum Beispiel schränkten sie die Mobilität ein oder verhinderten die Aufnahme von Zucker, sodass die Bakterien keinen Stoffwechsel mehr betreiben konnten.
Inspiration für Impfstoffe
Die Forschenden sprechen bei der Wirkung der Antikörper von „IgA-Parallelismus“. „Das Immunsystem hat so offenbar die Möglichkeit die gutartigen Darmbakterien über verschiedene Wege gleichzeitig zu beeinflussen“, erklärt Studien-Ko-Autorin Hedda Wardemann vom Deutschen Krebsforschungszentrum den Effekt. Wie die Immunglobuline es schaffen gutartige Bakterien nur einzuschränken, während pathogene Erreger wirksam bekämpft werden, bleibt allerdings auch mit den neuen Erkenntnissen unklar. „Unser Versuch zeigt aber, dass IgA-Antikörper das Gleichgewicht zwischen dem menschlichen Organismus und der Darmflora fein austarieren können“, erklärt Professor Macpherson. Zudem sind die Erkenntnisse auch für andere Zwecke nutzbar: „Wenn wir verstehen, wie und wo genau die Antikörper die Mikroorganismen im Darm erkennen, können wir auch Vakzine gegen pathogene Organismen gezielter designen“, so Dr. Rollenske.
Was meinen Sie?