Die Erfindung von Antibiotika war ein großer Schritt in der Medizingeschichte. Dank ihnen können bakterielle Infektionen effektiv bekämpft und gefährliche Erkrankungen gestoppt werden. Doch die hohe Wirksamkeit kommt zu einem Preis: Die Medikamente stellen eine große Belastung für den Körper dar. Sie bekämpfen alles; es gibt keinen Unterschied zwischen pathogenen Erregern und für den Körper nützlichen Bakterien. Das macht vor allem der Darmflora Probleme, deren Gleichgewicht für unsere Gesundheit enorm wichtig ist. Ob die Therapie mit Antibiotika sinnvoll ist, sollte daher immer genau abgewogen werden. Doch ein deutsches Forschungsteam macht die Entscheidung eventuell bald einfacher: Die Wissenschaftler entwickelten einen Ansatz, der das Darmmikrobiom vor Antibiotika schützen soll.
Breites Wirkspektrum
Antibiotika retten Leben – doch sie schwächen den Darm: Die Medikamente richten sich auch gegen gutartige Bakterien und sorgen so für ein Ungleichgewicht der Flora. Daher kommt es nach Antibiotika-Einnahme oft zu Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden oder Durchfall. Außerdem erhöhen sie das Risiko, dass sich allergische, metabolische, immunologische oder entzündliche Krankheiten entwickeln. Eine weitere Gefahr ist die Überbevölkerung des Darms durch das Bakterium Clostridioides difficile, ein typischer Krankenhauskeim. „Viele Antibiotika hemmen das Wachstum krankheitserregender Bakterien“, erklärt Studienerstautorin Lisa Maier. Das Wirkspektrum sei aber so breit, dass auch nützliche Bakterien in Mitleidenschaft gezogen werden. Das hindere den Darm an seiner Aufgabe, Nährstoffe effizient aufzunehmen.
Ausmaß der Konsequenzen offenbart
Um die Wirkung von Antibiotika auf den Darm genauer zu ergründen, analysierten Forschende der Universität Tübingen, der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin in einer Studie die Auswirkungen von 144 Antibiotika auf die häufigsten Darmbakterien. Bislang war nur bekannt, dass die aggressiven Medikamente negative Folgen auf die Mikroorganismen im Darm haben. Unklar war jedoch, welches Ausmaß diese Folgen annehmen. „Bisher war unser Wissen über die Auswirkungen verschiedener Antibiotika auf einzelne Mitglieder unserer mikrobiellen Gemeinschaften im Darm lückenhaft“, so einer der Forschenden, Nassos Typas. Dank der Ergebnisse der Studie, die kürzlich im Fachmagazin „Nature“ publiziert wurden, konnte das Forschungsteam Strategien entwickeln, um unser Mikrobiom vor den negativen Folgen zu schützen.
Selektive Abtötung von Darmbakterien
Die Untersuchungen der Forschenden zeigten, dass Tetracycline und Makrolide, zwei der am häufigsten verwendeten Antibiotikaarten, rund die Hälfte der getesteten Darmbakterienstämme abtöteten. „Wir hatten diesen Effekt nicht erwartet“, erklärt Forscherin Camille Goemans. Bisher ging man davon aus, die Medikamente würden Bakterien nur am Wachstum hindern. „Die Experimente zeigen, dass diese Annahme für etwa die Hälfte der von uns untersuchten Darmmikroben nicht zutrifft“, betont die Wissenschaftlerin. Die selektive Abtötung von Mikroorganismen könnte bewirken, dass einige Bakterien schneller aus dem Darmmikrobiom verschwinden als andere. Das, so nehmen die Forschenden an, sei der Grund für die extremen Veränderungen, die bei einigen Patienten nach Antibiotika-Einnahme beobachtet werden.
„Gegenmittel“ zum Schutz des Darms
„In früheren Studien konnten wir nachweisen, dass Medikamenten-Kombinationen bei verschiedenen Bakterienarten unterschiedlich wirken“, so Typas. So könnte ein weiterer Wirkstoff wie eine Art Gegenmittel die gutartigen Mikroorganismen schützen, ohne den krankheitsbekämpfenden Effekt der Behandlung zunichtezumachen, erklären die Forschenden. „Unser Ansatz, Antibiotika mit einem schützenden Gegenmittel zu kombinieren, könnte Möglichkeiten eröffnen, die schädlichen Nebenwirkungen von Antibiotika auf unser Darmmikrobiom zu reduzieren“, resümiert Maier. Allerdings werde es nie möglich sein, das empfindliche Gleichgewicht der Darmflora komplett zu schützen. Das liege aber vor allem daran, dass Menschen so unterschiedliche Mikrobiome hätten. Personalisierte Strategien würden daher eine bessere Option darstellen. Als nächstes ginge es aber erstmal darum, die optimalen Kombinationen, Dosierungen und Rezepturen zu finden. So soll das Darmmikrobiom in Zukunft auch bei einer Antibiotikabehandlung im Gleichgewicht bleiben.
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