Soziale Medien bringen viele positive Aspekte mit sich. Gerade zu Zeiten einer Pandemie, in der persönliche Treffen weitestgehend vermieden werden sollten, bieten sie eine gute Möglichkeit, trotzdem in Kontakt zu bleiben und sich zu vernetzen. Doch mit der Zeit wird auch immer deutlicher, welche Gefahren die Portale bergen.
Das Streben nach Schönheit
Schönheitsideale und den damit verbundenen Druck gibt es nicht erst seit der Entstehung des Internets. Bereits 1992 rief die britische Autorin Mary Evans Young die Kampagne „Diet Breaker“ ins Leben, die auf die Gefahr von Schlankheitswahn und Diätkultur aufmerksam machen sollte. Wie sich Netzwerke wie Facebook, Instagram oder TikTok in diesem Zusammenhang auf die Psyche ihrer Nutzer auswirken, untersuchten 2019 Prof. Dr. Eva Wunderer von der Hochschule Landshut und Dr. Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI München). Dazu befragten sie 175 von Essstörungen betroffene Personen zu sozialen Medien und deren Einfluss. Anlässlich des Internationalen Anti-Diät-Tages am 6. Mai informiert Prof. Wunderer in einer Pressemitteilung über diese Themen.
Soziale Medien zeigen verzerrtes Bild
Die Forscherinnen zeigten mit ihrer Studie, dass soziale Netzwerke negative Auswirkungen auf junge Menschen haben können. „Die intensive Beschäftigung mit sozialen Medien kann das Wohlbefinden senken und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper erhöhen“, erklärt Prof. Wunderer. Dieser Effekt sei bei Plattformen, die wie Instagram auf Bildern basieren, besonders deutlich. Außerdem betont die Forscherin, dass nicht nur Frauen die belastenden Auswirkungen erfahren. Auch Männer würden durch Bilder „vermeintlich perfekter, durchtrainierter Körper“ beeinflusst. Das hat Folgen für die eigenen Ansprüche, erklärt die Forscherin.
Gefährlicher Teufelskreis droht
Die Studie fand weiterhin heraus, dass Jugendliche bearbeitete Bilder als schöner und sogar natürlicher empfanden. Obwohl die Darstellung nicht der Realität entspricht, vergleichen die Nutzer sich mit dem, was sie auf ihren Smartphones sehen. „Junge Menschen betrachten vermeintlich perfekte Bilder von vermeintlich perfekten Körpern. Sie fühlen sich selbst minderwertig und verändern ihr Ess- und Trainingsverhalten. Damit findet ein Transfer statt vom virtuellen ins reale, analoge Leben. Sie bekommen „Likes“ und positives Feedback. Das befriedigt wesentliche Grundbedürfnisse nach Selbstwerterhöhung, Spaß und Zugehörigkeit. Gleichzeitig wächst die Angst, die Anerkennung zu verlieren, nicht gut genug zu sein. So geht es weiter in der Abwärtsspirale, schlimmstenfalls hinein in ein essgestörtes Verhalten“, so Wunderer.
Netzwerke erhöhen Risiko zu erkranken
Nun würde nicht jeder durch die Nutzung von Social Media eine Essstörung entwickeln. Ob jemand erkrankt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Doch die Netzwerke können das Risiko erhöhen, erklärt die Professorin: „Soziale Medien machen noch keine Essstörung, aber sie können das Fass zum Überlaufen bringen.“ Daher sieht Wunderer auch viel Verantwortung bei Influencern, die durch ihren „Einfluss“ (engl.: influence) mit sozialen Medien Geld verdienen. Nach Meinung der Professorin könnten diese Personen nicht mehr so tun, als wüssten sie nichts von den Auswirkungen ihres Berufs auf ihre „Follower“.
Corona-Pandemie verschärft das Problem
Corona macht die Situation nicht besser: „Alle Studien aktuell zeigen, dass es vielen Jugendlichen psychisch schlechter geht. Sie haben Angst, sind traurig und fühlen sich einsam. Essstörungen scheinen deutlich zuzunehmen. Viele Einrichtungen haben lange Wartelisten“, so die Forscherin. Die Pandemie hindert die Jugendlichen daran, die normalen Entwicklungsschritte durchzumachen. Außerdem sind sie von ihrem Umfeld zum großen Teil räumlich abgeschnitten, wodurch sie sich noch mehr an soziale Netzwerke wenden. Das kann schwerwiegende Folgen haben. „Natürlich kommen viele Jugendliche damit auch zurecht. Für Personen, die ohnehin psychosoziale Probleme haben, kann die jetzige Situation jedoch fatale Auswirkungen haben, deren Ausmaß uns wohl erst nach und nach bewusst werden wird“, erklärt die Professorin.
Umdenken in der Gesellschaft nötig
Bei Verdacht auf eine Essstörung sollte unbedingt professionelle Hilfe aufgesucht werden. Eine Übersicht hierzu bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Prof. Wunderer kämpft außerdem für die Entstigmatisierung der psychosomatischen Störung: „Essstörungen sind Erkrankungen, keine Schande und kein persönliches oder familiäres Versagen. Und: Sie können geheilt werden.“ Um Jugendliche vor Essstörungen zu bewahren, empfiehlt Wunderer, Medienkompetenz und Vielfältigkeit in sozialen Medien zu fördern. Langfristig fordert die Psychologin außerdem ein Umdenken in der Gesellschaft: „Solange Aussehen, Körper und Fitness eine so herausragende Rolle bei der Selbstwertung und Selbstdarstellung spielen, werden Jugendliche es schwer haben, sich davon abzugrenzen. Wir müssen also alle hinterfragen, was die wirklich wichtigen Werte sind.“
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