Während der Covid-19-Pandemie kam es gehäuft zu Fällen von Diabetes Typ 1 bei Kindern und Jugendlichen. Sind Corona-Infektionen die Ursache dafür? Eine Studie aus Kanada liefert neue Erkenntnisse.
Rasanter Anstieg der Diabetes-Fälle
Die Publikation der Wissenschaftler mehrerer kanadischer Forschungsinstitute erschien kürzlich im Journal „JAMA Network Open“. Darin haben die Experten die Ergebnisse von 17 früheren Studien zusammengefasst – Informationen von insgesamt 38.000 Probanden wurden dafür ausgewertet. Es zeigte sich: Die Zahl an Fällen von Diabetes Typ 1 bei Menschen unter 19 Jahren war im ersten Pandemiejahr im Vergleich zu 2019 um 14 Prozent gestiegen. 2021 waren es schon 27 Prozent mehr Fälle als vor der Pandemie. Es wurde zwar schon vor Corona ein Anstieg der Diabetes-Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen beobachtet – dabei handelte es sich jedoch nur um Steigerungen von jährlich etwa ein bis zwei Prozent.
„Jetzt sehen wir plötzlich einen Anstieg um das Zehnfache“, sagt Clemens Kamrath, Diabetesforscher an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, wie das Fachjournal „Nature“ berichtet. „Das ist definitiv ein signifikanter Sprung, in einem Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit, die man nicht für möglich gehalten hat“, erklärt der Experte, der nicht an der Studie beteiligt war.
Wenn das Immunsystem zum Feind wird
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunkrankheit. Das bedeutet, dass sich das Immunsystem aus verschiedenen Gründen gegen den eigenen Körper richtet – im Fall von Diabetes gegen die Bauchspeicheldrüse. Dort schädigt es Zellen, die Insulin produzieren. Dieses Hormon ist normalerweise dafür zuständig, dass die Körperzellen für die Energiegewinnung mit Traubenzucker versorgt werden. Wird in der Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr erzeugt, hat das gravierende Auswirkungen. Deshalb müssen sich Patienten mit Diabetes Typ 1 das Hormon ein- bis zweimal pro Tag in Form von Spritzen verabreichen.
Warum das Immunsystem auf Irrwege gerät, ist noch nicht abschließend geklärt. Jedenfalls gibt es eine genetische Veranlagung für Diabetes. Bestimmte Viren könnten ebenfalls eine Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen – das wird momentan auch im Zusammenhang mit Corona diskutiert.
Schwerere Diabetes-Symptome während der Pandemie
Bereits zu Beginn der Pandemie waren Experten auf den rasanten Anstieg der Diabetes-Fälle aufmerksam geworden. Es wurde daher befürchtet, dass eine Corona-Infektion der Auslöser für die chronische Krankheit sein könnte. Die Studie aus Kanada liefert nun weitere interessante Informationen zum Zusammenhang zwischen den beiden Krankheiten: So wurde auch festgestellt, dass die Pandemie die saisonalen Wellen veränderte, in denen Diabetes üblicherweise auftritt. Normalerweise erkranken nämlich im Winter mehr Menschen neu an Typ-1-Diabetes als im Sommer. Außerdem stellte sich heraus: Während der Pandemie kam es vermehrt zu Komplikationen bei Patienten mit Diabetes. Zum Beispiel wurde häufiger die sogenannte diabetische Ketoazidose registriert – dabei handelt es sich um eine gefährliche Störung des Stoffwechsels. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Betroffenen aus Angst vor Corona nicht rechtzeitig zum Arzt gingen.
Ist Corona die Ursache für Diabetes?
Könnte es sein, dass Corona-Infektionen das Immunsystem dazu bringen, die Bauchspeicheldrüse zu attackieren? Vor allem bei Kindern, die ein hohes Risiko für Autoimmunerkrankungen haben, hat die Pandemie die Entstehung von Diabetes Typ 1 womöglich begünstigt. Diese Erklärung halten einige Forscher für die plausibelste. Bisher konnte man jedoch nicht beweisen, dass sie zutrifft. Weitere Studien sind notwendig, um die genauen Mechanismen hinter dem Zusammenhang zwischen Diabetes und Covid-19 aufzuklären.
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