Schwere Krankheitsverläufe bei COVID-19 werden oftmals mit einer ungewöhnlich extremen Reaktion des körpereigenen Abwehrsystems in Verbindung gebracht. Die Entgleisung des Immunsystems hängt dabei mit einer übermäßigen Ausschüttung immunologischer Botenstoffe zusammen: In der Fachsprache ist von einem sogenannten Zytokinsturm die Rede. Forschende des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und der Universitätsklinik Freiburg untersuchten nun die Effekte einer SARS-CoV-2-Infektion auf die Immunzellen des angeborenen Abwehrsystems. Interessanterweise konnten frühere Studienergebnisse entscheidend widerlegt werden.
Interleukine bei COVID-19 erhöht
Viele kritisch erkrankte COVID-19-Patienten weisen einen enorm hohen Spiegel an Zytokinen auf. Hierbei handelt es sich um körpereigene Eiweiße, welche bei einer immunologischen Reaktion gebildet werden und als Botenstoffe zwischen den einzelnen Bestandteilen des Immunsystems fungieren. Zytokine aktivieren bestimmte Abwehrzellen und beeinflussen Entzündungsprozesse, Bakterienvermehrung und die Entstehung von Krebs. Der wichtigste Entzündungsmarker, Interleukin-6 (IL-6), ist auch bei COVID-Erkrankten deutlich erhöht. Bisher wurde angenommen, dass das angeborene Immunsystem für die ausgesprochen hohe Zytokinproduktion bei schweren Corona-Verläufen verantwortlich ist.
Infektion der Abwehrzellen kein Auslöser
Beim jüngsten Versuch, dendritische Zellen und zwei Arten von Makrophagen des angeborenen Immunsystems mit SARS-CoV-2 zu konfrontieren, stellte sich nun Folgendes heraus: Die Immunzellen wurden zwar infiziert, jedoch nicht zerstört. Zudem konnte sich SARS-CoV-2 in den untersuchten Abwehrzellen nicht weiter vermehren. Besonders überraschend war außerdem die Erkenntnis, dass sich der Aktivierungsgrad der Immunzellen, welcher für einen Zytokinsturm verantwortlich wäre, kaum geändert hat. Tatsächlich führte die Ansteckung der Immunzellen mit SARS-CoV-2 also nicht zu einer übermäßigen Freisetzung von Zytokinen, auch eine Ko-Infektion mit anderen Viren änderte an diesem Resümee nichts. Die entsprechenden Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Frontiers in Immunology“ publiziert.
Ursache für Zytokinsturm bleibt unklar
Im übertragenen Sinne bedeutet dies, dass eine SARS-CoV-2-Infektion der Zellen des angeborenen Abwehrsystems nicht für die teilweise tödliche Entgleisung der Immunantwort bei COVID-Patienten verantwortlich ist. Damit wurden bisherige Forschungsleistungen auf diesem Gebiet grundlegend falsifiziert. Weiters legten die deutschen Forscher einen Meilenstein in der Identifizierung jener Prozesse, die bei einer COVID-19-Erkrankung zu gefährlichen Immunreaktionen führen. Nichtsdestotrotz beweist die Studie lediglich, dass das angeborene Immunsystem als Treiber für einen Zytokinsturm bei COVID-19 nicht infrage kommt. Weiterführende Untersuchungen sind deshalb dringend notwendig.
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