Wer sich schon einmal einer Diät unterzogen hat, der weiß, dass Fastenkuren jeglicher Art meist mit strikter Disziplin, eisernem Willen und strengem Verzicht verbunden sind. Ein harter Kampf, der mithilfe des neuen Konzeptes „Scheinfasten“ der Vergangenheit angehören soll. Doch wie gelingt die vermeintliche Revolution in Sachen Diäten – und was halten ExpertInnen davon?
Den Körper überlisten
Die Idee der Scheinfasten-Ernährung basiert auf dem Konzept der Nahrungsmittelenthaltung, wobei im Gegensatz zu klassischen „Nulldiäten“ trotzdem gegessen werden darf. Mit dem in den vergangenen Jahren populär gewordenen Intervallfasten lässt sich dieser Abnehmtrend ebenfalls nicht vergleichen, da man dem Körper nämlich nur vortäuscht, tatsächlich zu fasten. Entwickelt wurde die sogenannte Fasting Mimicking Diet (FMD) vom Altersforscher Valter Longe am Longevity Institute der University of Southern California in den USA.
Das fünftägige, vegane Ernährungsprogramm stützt sich auf die Halbierung von Essensrationen, wobei bestimmte Nahrungsmittel vollständig gemieden werden. Am ersten Tag werden dem Körper so rund 1.100 Kalorien zugeführt, an den übrigen Tagen jeweils 750 Kalorien. Die kalorienreduzierte, vermehrt fettreiche, aber dennoch zuckerarme Kost versorge den Körper zwar mit allen essentiellen Nährstoffen, zeitgleich versetze ihn die geringe Kalorienzufuhr jedoch in einen Fastenzustand. Die Mahlzeiten bestehen dabei aus komplexen Kohlenhydraten, wie z.B. Salat oder Gemüse, aus gesunden Fetten, die beispielsweise in Avocados, Nüssen und Olivenöl enthalten sind, sowie aus pflanzlichen Eiweißen, die etwa in Hülsenfrüchten stecken. Vermieden werden indes einfache Kohlenhydrate in Form von weißem Reis, Nudeln und Brot, Zucker und tierischem Eiweiß.
Essen, abnehmen und dabei auch noch Zellen recyclen?
„Tierisches Eiweiß gibt dem Körper das Signal Wachstum“, erklärt Bernd Kleine-Gunk, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anti-Aging-Medizin, den Hintergrund des Verzichts. „Beim Scheinfasten möchte man allerdings das Gegenteil bewirken.“ Man möchte die Zellen nicht „füttern“, sondern ihnen eine Pause von den Aufbauprozessen gönnen.“ Dadurch erfolge die Auflösung von defekten oder alten Zellen durch den Organismus sowie das Recycling ihres Materials. Dieses interne Müllentsorgungssystem der Zelle wird Autophagozytose oder Autophagie genannt, wodurch eine Erneuerung bzw. „Verjüngung“ der Zellen bezweckt werden soll.
Neben den zahlreichen gesundheitsfördernden Wirkungen des Verzichts von tierischen Produkten, könne die Scheinfasten-Kur sowohl entzündungshemmende Effekte vorweisen als auch positive Auswirkungen auf den Stoffwechsel, das Herz-Kreislauf-System sowie die Verdauungsorgane haben. Die Ketose, also die Fettverbrennung, kann in diesem Zusammenhang als Beispiel aufgeführt werden. „In den Zustand der Ketose gelangt der Körper beim Intervallfasten nicht“, so Kleine-Gunk, da die Kohlenhydratspeicher des Körpers erst nach längeren Fastenperioden aufgebraucht seien und die Fettspeicher somit unberührt bleiben würden. Nachhaltige Anti-Aging-Effekte könnten so nicht erzielt werden, da die Phase der Kalorienrestriktion beim Intervallfasten schlichtweg zu kurz sei. Weiters wirke Scheinfasten förderlich auf Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Rheuma und chronische Schmerz- und Reizdarmsyndrome.
Altes Konzept neu verpackt
Dennoch gibt es auch kritische Stimmen, die der Scheinfasten-Diät eher negativ gestimmt gegenüberstehen. „Scheinfasten ist altbekanntes Wissen in ein neues Gewand gehüllt“, so der Ernährungsmediziner Hans Hauner von der Technischen Universität München. Hinter dem Konzept der Fastenboxen, die während der Fastentage der Diät konsumiert werden können, stecke laut ihm geschickte Vermarktung und damit einhergehend jede Menge Profit. Variantenreiche und bunte Nahrung müsse her, um nachhaltig leben und abnehmen zu können. Rote Tomaten, grüner Brokkoli, gelber Kurkuma – je farbenreicher, desto mehr gesunde sekundäre Pflanzen- sowie sättigende Ballaststoffe, die sowohl für Körper als auch Geist förderlich sind. Laut Hauner ist die intensivere Beschäftigung mit Ernährungsfragen, auch in Form der Scheindiät, dennoch als positiv zu bewerten, da infolgedessen ein Perspektivenwechsel auf Lebensmittel und Nährstoffzusammensetzen erfolgt. Wer jedoch dauerhaft gesünder leben und auf längere Sicht abnehmen möchte, werde dies nicht innerhalb von fünf Tagen erreichen.
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