Nach fünf über das Land geschwappten Corona-Wellen besteht unter dem Großteil der Deutschen Konsens darüber, welche Risikofaktoren einen schweren COVID-19-Verlauf begünstigen können: Neben dem Alter spielen auch diverse Vorerkrankungen wie z.B. Diabetes, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Leber- oder Lungenerkrankungen sowie Übergewicht eine entscheidende Rolle. ForscherInnen werfen nun jedoch ein weiteres relevantes Faktum in den Risikofaktoren-Topf hinein: das biologische Geschlecht. Anhand diverser Studien belegen WissenschaftlerInnen, dass Männer schwerer an Corona erkranken und ein höheres Sterberisiko aufweisen als Frauen. Doch warum ist das so? Wieso kommt das einstmals vermeintlich „starke“ Geschlecht wesentlich schlechter im Umgang mit den Viren zurecht?
Von Frauen und Männern und ihren Unterschieden
Auf Basis der Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) versterben in Deutschland in der Altersgruppe von 35 bis 59 Jahren etwa 2,37-mal so viele Männer an COVID-19 wie Frauen. Und das obwohl bei Frauen deutlich mehr Infektionsfälle gemeldet wurden: Von 1,67 Millionen weiblichen Infizierten starben 1.808, bei den Männern konnten unter 1,53 Millionen Coronavirus-Infektionen 4.293 Todesfälle verzeichnet werden. Mit zunehmendem Alter pendeln sich die Diskrepanzen etwas ein: In der Altersgruppe von 60 bis 79 Jahren starben nur noch 1,88-mal so viele Männer wie Frauen, ab einem Alter von 80 Jahren dann noch lediglich 1,5-mal so viele. Dennoch lässt sich eine Tendenz dahingehend erkennen, als dass Männer generell beträchtlich schlechter durch die Pandemie kommen als Frauen.
Mannigfaltige Erklärungsmöglichkeiten wurden für dieses Phänomen gesucht: Männer seien weniger hygienebewusst als Frauen und würden sich zudem widerwilliger in ärztliche Behandlung begeben. Zudem ist der Anteil der Raucher bei Männern höher, wodurch das Risiko, Vorerkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzuweisen, erhöht würde. Eine Studie aus England konstatiert indes, dass diese Einflüsse nicht ausreichen würden, um die Verschiedenheiten im Krankheitsverlauf und Sterberisiko zwischen Frauen und Männern zu erklären. „Die Unterschiede liegen auch an den unterschiedlichen Immunantworten von Mann und Frau auf Viren und Bakterien sowie an den Größen, die die jeweilige Immunantwort mitbestimmen“, so die Biologin Andrea Kröger, Professorin für Molekulare Mikrobiologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Des Rätsels Lösung: das Immunsystem!
Zuallererst lohnt sich ein Blick in die Evolutionsgeschichte des Menschen: Das weibliche Geschlecht zeichnet sich seit jeher durch ein besonders starkes Immunsystem aus, das dem Schutz ungeborener Kinder und Babys während der Stillzeit vor Infektionen und somit in weiterer Folge dem Arterhalt dient. Entscheidend sind hierbei die Geschlechtschromosomen, insbesondere das X- und Y-Chromosom. Männer besitzen ein X- und ein Y-Chromosom im Zellkern ihrer Zellen, wohingegen Frauen über zwei X-Chromosomen verfügen – eines von mütterlicher und eines von väterlicher Seite. Einige sehr wichtige Gene des Immunsystems liegen auf dem X-Chromosom, was bereits als erstes Indiz für die verbesserte Immunabwehr von Frauen gilt. „Deshalb können fehlerhafte Gene kompensiert werden, sofern das Gen nicht gleichzeitig auf beiden X-Chromosomen in fehlerhafter Ausführung vorliegt“, erklärt auch Kröger.
Zudem produzieren Frauen bei einer Infektion mit Viren und Bakterien eine höhere Quantität an Antikörpern, die zusätzlich noch langlebiger sind als jene von Männern. Ein weiterer Unterschied in der Immunantwort zwischen Männern und Frauen lässt sich in der auf weiblicher Seite stärkeren Abwehr durch T-Zellen festmachen. Eine Studie der Yale University unter der Leitung der Immunologin Akiko Iwasaki besagte bereits 2020, dass beides das Risiko schwerer Corona-Verläufe verringern würde.
Hormone, insbesondere Sexualhormone wie Testosteron, Östrogen und Progesteron, wechselwirken mit Immunzellen, aktivieren diese und sind dementsprechend essentiell im Kampf des Immunsystems gegen SARS-CoV-2. Zu Beginn einer Infektion trägt besonders Östrogen zur Stimulierung des weiblichen Immunsystems und somit zu einer starken T-Zell-Immunantwort bei. Testosteron, das dominierende Sexualhormon der Männer, kommt dem Immunsystem weniger zugute, da es tendenziell entzündungsfördernde Antworten auslöst und dadurch eher eine Überschussreaktion des Immunsystems bewirkt. Hinsichtlich des Coronavirus konnte dieser Mechanismus des Öfteren mit der Zerstörung der Lunge in Verbindung gebracht werden.
Fazit
Die Komplexität dieser Zusammenhänge demonstriert eine US-Studie, die überdies belegt, dass niedrige Testosteronwerte ebenfalls nicht vorteilhaft sind. „Die Männer mit COVID-19, die anfangs noch nicht schwer erkrankt waren, aber niedrige Testosteronwerte hatten, brauchten zwei bis drei Tage später häufiger eine intensivmedizinische Behandlung oder Intubation“, berichtet Dr. Sandep Dhindsa, Endokrinologe und Studienerstautor von der Washington University in St. Louis. Weiters gehe ein niedriger Testosteronspiegel mit der Produktion und Freisetzung großer Mengen entzündungsfördernder Stoffe durch das viszerale Bauchfett männlicher Probanden einher.
Die Gesamtheit all dieser Ergebnisse ist laut Kröger vor allem dahingehend für zukünftige Therapien und Behandlungsmethoden entscheidend, als dass sich daraus ein einigermaßen klares Bild zeichnen lässt: Den prägnanten Unterschieden zwischen Frauen und Männern hinsichtlich ihres Immunsystems muss in der Medizin generell größere Beachtung geschenkt werden. Wenig zielführend sei es hingegen, wie in der Vergangenheit fast zur Gänze praktiziert, die das biologische Geschlecht betreffenden spezifischen Unterschiede außen vor zu lassen und die Menschen über einen Kamm zu scheren. „Man muss erst mal zwischen Männern und Frauen unterscheiden und dann bei jedem Geschlecht den individuellen Menschen sehen“, so die Biologin.
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