In den meisten Fällen bleiben Arterienverkalkungen lange Zeit unbemerkt. Die Erkrankung verläuft oftmals schleichend und offenbart erst im Endstadium ihre folgenschweren Konsequenzen. Zum Leidwesen der Patienten verfügen Mediziner bislang nur über wenige effektive Behandlungsmöglichkeiten. Forscher entdeckten nun allerdings einen speziellen Botenstoff, der die Atherosklerosetherapie revolutionieren könnte.
Bedrohliche Arterienablagerungen
Eine Atherosklerose entwickelt sich häufig als Reaktion auf eine Beschädigung der inneren Arterienwand, welche durch Bakteriengifte, Viren, Immunreaktionen oder Verletzungen hervorgerufen werden kann. Durch diese Beeinträchtigung akkumuliert sich Flüssigkeit in den Gefäßen, welche zur Ansammlung von Kalkpartikeln, Fetten und Zellabfallstoffen beiträgt. Besonders bedrohlich stellt sich die Ablagerung von sogenanntem LDL-Cholesterin heraus, da dieses Lipoprotein Entzündungsreaktionen in den Arterien auslöst. Um die Infektion zu bekämpfen, schickt das Immunsystem weiße Blutkörperchen zur betroffenen Stelle, um das LDL aufzunehmen. Über einen längeren Zeitraum entstehen aus den sogenannten Leukozyten Schaumzellen, welche weiße Blutkörperchen noch stärker anziehen und die Entzündung somit vorantreiben. Schritt für Schritt entwickeln sich arterienschädliche Plaques, die das Gefäßvolumen immer weiter verengen – ein gestörter Blutfluss ist die langfristige Folge. Je nach betroffener Körperregion kann die Erkrankung im schlimmsten Fall in Herzinfarkten, Schlaganfällen oder stark beeinträchtigter Mobilität resultieren.
APRIL schützt vor Atherosklerose
Laut einem internationalen Forschungsteam, welches Experten aus Österreich, der Schweiz und England vereint, bietet ein bestimmter Botenstoff namens „A Proliferation Inducing Ligand“ (APRIL) bedeutenden Schutz vor der Entwicklung chronischer Gefäßschäden. Um die Auswirkungen des Botenstoffs näher zu untersuchen, kamen Mäuse als Versuchsobjekte zum Einsatz. Im Verlauf der Experimente stellte sich heraus, dass jene Tiere Atherosklerose entwickelten, die den Botenstoff nicht exprimieren. Zudem begünstigte eine Injektion von APRIL-neutralisierenden Antikörpern das voranschreitende Wachstum der atherosklerotischen Plaques.
Proteoglykane bieten Schutz
APRIL bindet sich an Immunrezeptoren, welche in erster Linie an der Außenseite von B-Lymphozyten exprimiert werden. Diese nehmen eine zentrale Rolle bei der Produktion von Antikörpern ein und tragen somit zu einer effektiven Abwehr gegen körperfremde Substanzen bei. Aufgrund dieses Mechanismus gingen die Forscher ursprünglich davon aus, dass APRIL durch die Beeinflussung der B-Lymphozyten zuverlässigen Schutz vor der Entstehung atherosklerotischer Ansammlungen bietet. Nach detaillierten Untersuchungen konnte sich diese Annahme allerdings nicht bewahrheiten. Deswegen widmeten sich die Forscher einer nicht-immunologischen Besonderheit von APRIL: die Fähigkeit sogenannte Proteoglykane zu binden. Diese Proteine dienen als Gleitstoff in den Gelenken und bilden die Grundsubstanz zahlreicher Gewebearten. In weiterer Folge kamen die Experten zu der Erkenntnis, dass der atherosklerose-hemmende Botenstoff in großen Mengen von den Blutgefäßen selbst hergestellt wird und sich dort an das Proteoglykan Perlecan knüpft. Hierbei handelt es sich um ein großes Molekül, das einen bedeutenden Bestandteil der inneren Arterienschicht darstellt.
Krankheitshemmendes Zusammenspiel
Im Rahmen weiterer Experimente gelang es den Wissenschaftlern nachzuweisen, dass sich die Verabreichung eines APRIL-neutralisierenden Immunglobulins bei Mäusen, die eine nicht-bindende Form von Perlecan exprimieren, nicht mehr auf die Entstehung atherosklerotischer Plaques auswirkte. „Diese Daten zeigen eindeutig, dass die protektive Wirkung von APRIL in der Atherosklerose durch seine Eigenschaft, Proteoglykane in Arterien zu binden, vermittelt wird“, berichtet der Studienautor Professor Christoph Binder von der MedUni Wien. Aus früheren Studien konnte bereits entnommen werden, dass Perlecan maßgeblich zur Akkumulation von LDL-Cholesterin in der Arterienwand beiträgt. Dieser Effekt könne laut den Forschern dank APRIL effektiv gehemmt werden. Zudem entschlüsselten die Fachleute einen bestimmten Antikörper, der die Verknüpfung zwischen APRIL und Proteoglykane verstärkt und somit der Krankheitsentstehung entgegenwirkt.
Weitere Variante entdeckt
Darüber hinaus setzte sich das Forschungsteam mit der Bedeutung von APRIL für Gefäßerkrankungen bei Menschen auseinander und stieß dabei auf eine bisher unbekannte Variante des Botenstoffes im menschlichen Blut. Die Experten definieren diese Form als „non-canonical APRIL“. Im Gegensatz zur bekannten Art bindet die neue Variante zwar Proteoglykane, jedoch keine Immunrezeptoren. „Durch die Analyse von mehr als 3.000 Patientenproben konnten wir zeigen, dass die Blutspiegel von nc-APRIL das Risiko der Mortalität aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen vorhersagen. Das ist ein starker Hinweis dafür, dass die Bindung von APRIL an Proteoglykane auch eine wesentliche Rolle bei atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen beim Menschen spielt“, so Professor Binder. Indem die Verbindung zwischen APRIL und Proteoglykanen gezielt gefördert wird, könnten dem Forschungsteam zufolge neue Therapiekonzepte zur effektiven Behandlung atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt werden.
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