Selbstbewusste Menschen sind überzeugt von ihren Fähigkeiten, begegnen Herausforderungen mit Zuversicht und stechen oftmals durch ihre Einsatzbereitschaft heraus. Auf den ersten Blick scheint Selbstvertrauen somit das Leben in vielerlei Hinsicht zu bereichern – leider wird die Kehrseite hierbei oftmals außer Acht gelassen. Laut einer aktuellen Studie geht zu stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein sogar mit gesundheitlichen Risiken einher.
Subjektive Einschätzung oder medizinische Realität?
Im Rahmen eines Forschungsprojektes ergründeten Mediziner der Universität Wien in Kooperation mit der Hertie School, inwieweit subjektive medizinische Einschätzungen vom faktischen Gesundheitszustand abweichen. Im Zuge der Studie untersuchten Mediziner Daten von mehr als 80.000 Europäern über 50 Jahren mittels statistischer Methodik. Diese Angaben basieren auf der SHARE-Studie, welche zwischen 2006 und 2013 durchgeführt wurde. Während der Untersuchungen sollten Probanden ihren Gesundheitszustand persönlich einschätzen. Unter anderem wurden die Teilnehmer gefragt, ob nach längerem Sitzen auf einem Sessel Schwierigkeiten beim Aufstehen entstehen würden. Im Anschluss wurden sie ersucht, tatsächlich von einem Sessel aufzustehen. Somit konnte überprüft werden, ob Probanden dazu in der Lage sind, ihre gesundheitliche Verfassung realistisch zu beurteilen. Darüber hinaus zogen die Forscher auch subjektive Einschätzungen des Erinnerungsvermögens und der allgemeinen Mobilität der Versuchsteilnehmer in Betracht.
Mangelnde Arztbesuche verhindern rechtzeitige Diagnose
Die Ergebnisse veranschaulichen, dass ältere Europäer, die ihre gesundheitliche Konstitution überschätzen, 17 Prozent weniger Arztbesuche pro Jahr vereinbaren als jene Probanden, die ihren Gesundheitszustand realistisch bewerten. Dies wird insbesondere dann problematisch, wenn Betroffene essenzielle Vorsorgeuntersuchungen nicht mehr wahrnehmen. Schwerwiegende Erkrankungen können in weiterer Folge nämlich oftmals nicht rechtzeitig diagnostiziert werden. Die Anzahl und Dauer der Krankenhausaufenthalte wurden durch diese Fehleinschätzung jedoch nicht beeinflusst.
Gesünder als erwartet
Abweichungen bestehen auch im gegenteiligen Fall – Personen, die ihren Gesundheitszustand unterschätzen, suchen den Arzt zu 21 Prozent häufiger auf als Teilnehmer mit einer realitätsnahen Gesundheitseinschätzung. Durch die regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen können Krankheiten viel eher rechtzeitig diagnostiziert werden und auch ein gesunder Lebensstil wird durch gezielte medizinische Beratung gefördert. Trotz der gesundheitlichen Vorteile generieren überproportional häufige Arztbesuche unnötige Kosten und zusätzlichen Arbeitsaufwand. Angesichts hoher öffentlicher Gesundheitsausgaben und einer tendenziell alternden Bevölkerung stellt dieser Umstand eine zusätzliche Belastung für das Gesundheitssystem dar. Ob ein Arztbesuch medizinisch notwendig ist oder nicht, lässt sich von Außenstehenden jedoch im Vorhinein schwer einschätzen. Insgesamt beurteilten die Versuchsteilnehmer ihre gesundheitliche Verfassung größtenteils realitätsgetreu. Nur 10 Prozent gehen von einer schlechteren Konstitution aus, 11 Prozent überschätzen ihr Leistungspotenzial.
Bildung als Schlüssel zur realistischen Gesundheitswahrnehmung
Den Forschern zufolge spielen Alter, Herkunft und Bildungsstand eine zentrale Rolle hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung der Gesundheit. Vor allem ältere Personen tendieren dazu, ihre gesundheitliche Verfassung zu überschätzen. Doch auch regionale Unterschiede lassen sich erkennen – während Südeuropäer ihren körperlichen Zustand tendenziell überschätzen, neigen Mittel- und Osteuropäer dazu, ihre Konstitution zu unterschätzen. Generell korreliert ein hoher Bildungsgrad mit einer realistischen Einschätzung der eigenen Gesundheit. Aus diesem Grund empfiehlt das Forschungsteam, die Gesundheitsbildung sämtlicher Bevölkerungsschichten zu forcieren, um eine rationale Gesundheitswahrnehmung in der Gesellschaft zu etablieren.
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