Welche Frau kennt es nicht: der ständige Kontrollgang auf die Toilette, um zu sehen, ob die Menstruationstasse noch richtig sitzt; die permanente Sorge, dass sich die Monatsblutung trotz Hygieneartikeln einen Weg nach außen bahnt; das Gefühl, unter strenger Beobachtung zu stehen, während man eine Leidensgenossin um einen Tampon bittet. Unter diese und ähnliche Probleme will ein in die Moderne versetzter antiker Trend nun einen Schlussstrich ziehen: Free Bleeding. Was es damit auf sich hat und ob die alternative Form des Umgangs mit der Menstruation das Zeug zum Mainstream hat, erfahren Sie hier.
Einfach bluten lassen?
Free Bleeding heißt übersetzt freie Blutung und genau das praktizieren ihre Anhängerinnen auch: Bei der freien Menstruation wird der Periode freien Lauf gelassen; keine Barrieren wie Binden, Tampons oder Tassen werden dem roten Fluss in den Weg gelegt. Für manche mag sich bereits an dieser Stelle ein fahler Beigeschmack ausbreiten: Menstruieren ohne Hilfsmittel? Klingt unhygienisch- ist es jedoch nicht zwingend, da Frauen, die Free Bleeding bereits eine Zeit lang praktizieren, einen Rhythmus feststellen, in dem ihr Körper das Periodenblut abstößt.
Das Menstruationsblut fließt während der Periode nämlich nicht kontinuierlich und ununterbrochen im Schwall, sondern in mehr oder weniger regelmäßigen Schüben. Die Gebärmutter, die während der Monatsblutung mal mehr mal minder stark kontrahiert, befördert auf diesem Wege Schleimhaut und Blut nach außen. In den ersten menstruierenden Tagen des Zyklus vollzieht sich dieses Prozedere durchschnittlich in Abständen von 20 Minuten, an schwächeren Tagen alle paar Stunden. Wie viel Blut während der Regel tatsächlich fließt und wie oft der Fluss kommt, ist jedoch von Frau zu Frau individuell. Mit zunehmender Erfahrung lernen Free Bleederinnen diesen Ablauf immer besser kennen, manche spüren dabei ein Ziehen im Unterleib, antizipieren die nächste Blutung und lassen das Blut, bei dem es sich meist nur um wenige Tropfen handelt, auf der Toilette abfließen.
Beweggründe und Motivation
Die Gründe, den Weg des Free Bleeding einzuschlagen, sind so divers und vielfältig wie die Frauen, die es praktizieren. Viele verfolgen über die freie Menstruation feministische, soziale oder politische Ziele. In vielen Regionen der Welt haftet der weiblichen Periode nach wie vor das gesellschaftliche Stigma, etwas Unreines oder Schamhaftes zu sein, an und zwingt Frauen in weiterer Folge dazu, ihre Regel zu verstecken. Politischer und sozialer Aktivismus spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle, da in den meisten Ländern der Welt Hygieneartikel für die weibliche Menstruation als Luxusgut und nicht als Alltagsprodukt versteuert werden. Der Kauf derartiger Produkte stellt für die meisten Frauen jedoch eine gesellschaftliche Notwendigkeit dar und sind für weniger gut situierte Menschen oftmals nicht erschwinglich. Sowohl aus Solidarität als auch als Form des Protests, um auf diese Art von Diskriminierung aufmerksam zu machen, verzichten Menstruierende auf die Verwendung der Luxusgüter.
Zu den moralischen oder ideologischen Motiven, der Periode monatlich freien Lauf zu lassen, gesellen sich gesundheitliche und auf das Wohlempfinden des eigenen Körpers bezogene Hintergründe hinzu. Hygieneartikel können zwicken, verrutschen, Juckreiz auslösen und beim Sport Schmerzen verursachen. Da Tampons nicht nur das Blut, sondern auch die Feuchtigkeit der Vagina aufsaugen, leiden einige Frauen nach der Anwendung unter einer trockenen Scheide, wodurch die Vaginalflora strapaziert wird. Obgleich gering, bergen Tampons dennoch das Risiko des tödlichen Toxic-Shock-Syndroms (TSS) und auch Binden erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Infektion im Genitalbereich. Zudem sei es möglich, dass die Anstauung des Monatsbluts durch Tampons Krämpfe verursacht. Einige Frauen berichten von milderen Regelschmerzen und verkürzten Blutungen seitdem sie die Free Bleeding-Methode anwenden; ein direkter Zusammenhang diesbezüglich konnte bisher jedoch nicht nachgewiesen werden. Frauen verzichten außerdem auf Hygieneprodukte, da diese beträchtliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Der Großteil der Menstruationsgüter wird aus neuen Rohstoffen hergestellt und aufgrund von Sterilitätsgründen mehrfach in Plastik verpackt. Werden sie nicht recycelt, können selbst Bio-Baumwoll-Produkte eine große Belastung für die Umwelt darstellen.
Unabhängig davon, ob man Free Bleeding nun als rote Revolution anerkennen oder als Nischentrend kategorisieren mag, verdeutlicht die Thematik jedoch einen Kernpunkt weiblicher Emanzipation: das Recht auf Selbstbestimmung sowie die Wahl, über den Umgang mit der Periode selbst zu entscheiden.
Was meinen Sie?