In großen medizinischen Studien sind Frauen regelmäßig unterrepräsentiert. Dadurch sind geschlechtsspezifische Merkmale einer Krankheit häufig kaum bekannt und Frauen werden bei der Behandlung vernachlässigt. Dies zeigte bereits 2019 eine britische Studie zu Herzinfarkten. Das Projekt GenderVasc will diese Unterschiede nun auch in Deutschland in die Öffentlichkeit tragen. So soll die Versorgung im Bereich Herz- und Gefäßmedizin für alle Menschen verbessert und individueller an die Person angepasst werden.
Große Datenauswertung zeigt: Immer weniger Infarkte
Forschende werteten für dieses Vorhaben Daten von 760.000 stationär behandelten Patienten und Patientinnen mit Herzinfarkten aus. Die Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich im „European Heart Journal“. Dabei wurde grundsätzlich zwischen Infarkten mit und ohne ST-Streckenhebung unterschieden. Von den Fällen mit Hebung, sogenannte STEMIs, zählte die Studie 280.000. Bei ihnen erkennt man deutliche Anzeichen im Elektrokardiogramm (EKG) und es treten meist die bekannten Symptome eines Herzinfarktes auf: starke Schmerzen im Brustraum, ein beklemmendes Gefühl und Kurzatmigkeit. Bei NSTEMIs fallen die Symptome hingegen oft untypisch und milder aus. Von dieser Art des Infarkts verzeichnete das statistische Bundesamt 560.000 Fälle. Eine gute Nachricht zeigte sich bei der Auswertung der Daten aber schon mal: Die Anzahl der Fälle von ST-Hebungsinfarkten nahm über den beobachteten Zeitraum von 2014 bis 2017 kontinuierlich ab.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Klare Geschlechtsunterschiede gab es schon bei der Häufigkeit der Krankheitsfälle: 70 Prozent der STEMI Patienten wurden dem männlichen Geschlecht zugeschrieben. Außerdem waren die Herren, die wegen eines Infarktes in Behandlung waren, im Durchschnitt jünger als die betroffenen Frauen. Unter den Männern fanden sich zudem mehr Raucher und Patienten mit erhöhten Cholesterinwerten. Patientinnen brachten dagegen häufiger Begleiterkrankungen wie Niereninsuffizienz, Diabetes, Herzinsuffizienz oder Vorhofflimmern mit.
Frauen werden seltener operiert
Doch nicht nur bei den Patientengruppen gab es Unterschiede, sondern auch in deren Behandlung: Interventionelle Eingriffe, um die verschlossenen Gefäße des Herzens durch einen Katheter zu öffnen, wurden bei Männern deutlich häufiger vorgenommen als bei Frauen. Ebenso erhielten Patientinnen seltener Bypass-Operationen als ihre männlichen Leidensgenossen. Und auch bei den Sterberaten zeigte sich ein Unterschied: Frauen mit STEMIs verstarben in 15 Prozent der Fälle noch im Krankenhaus, während dies bei der männlichen Gruppe nur in 9,6 Prozent der Fälle eintrat. An NSTEMIs starben in beiden Patientengruppen weniger Personen, Frauen jedoch immer noch verhältnismäßig häufiger.
Weitere Erforschung der Ursachen nötig
Die Forschenden weisen darauf hin, dass diese drastischen Zahlen sich zum einen durch das höhere Alter und die häufigeren Begleiterkrankungen bei Frauen erklären lassen. Zum anderen werden diese aber auch dadurch beeinflusst, dass Patientinnen deutlich seltener rettende Eingriffe erhalten. Woran diese Unterschiede liegen und wie sie verringert werden können, muss noch weiter erforscht werden. „Weitere Studien sind erforderlich, um noch weitere Ergebnisse zu sammeln und anschließend Projektergebnisse in Leitlinien und Empfehlungen zu überführen und in Informationsmaterialien für Ärzte und Patienten aufzuarbeiten. Langfristig kann das Projekt dazu beitragen, eine bedarfsgerichtete medizinische Versorgung kardiovaskulär erkrankter Patientinnen und Patienten sicherzustellen“, schreiben die Studienautorinnen Leonie Kühnemund und Dr. Eva Freisinger.
Was meinen Sie?