Der Westen zieht nach
Im Zuge der voranschreitenden Corona-Pandemie begann die okzidentale Welt ebenfalls nach potentiellen alternativen Substanzen und Wirkstoffen, auch Drug Repurposing genannt, zu suchen. Naturheilmittel und Rezepturen, die der TCM zugeteilt werden können, blieben von westlichen ForscherInnen jedoch größtenteils unbeachtet. Dr. Gordon Saxe, Epidemiologe und Geschäftsführer des Krupp Center for Integrative Research an der University of California in San Diego (UCSD), und Andrew Shubov, Leiter der Abteilung für stationäre integrative Medizin am Zentrum für Ost-West-Medizin an der University of California in Los Angeles (UCLA), kritisierten dies vehement: „Die Menschen nahmen immer giftigere Medikamente ein, und nichts funktionierte.“ Daraufhin ergriffen die Forscher selbst die Initiative, holten die Genehmigung zur Durchführung von Studien ein und machten sich daran den Einsatz sowie die Effektivität von Heilpilzen und chinesischen Kräuterrezepturen bei leichtem bis mittelschwerem COVID-19-Verlauf auszuloten.
Zwei Studien in Arbeit
In der ersten Studie, unter der Federführung von Saxe, soll es zur Untersuchung des therapeutischen Potentials zweier Pilze kommen – Trametes versicolor (Truthahnschwanz/Schmetterlingstramete) und Fomitopsis officinalis (Lärchenschwamm/Agarikon). Diese Pilze weisen Polysaccharide auf, die mit Rezeptoren auf T-Zellen interagieren und Immunzellen somit dahingehend modulieren, als dass eine potentielle Wirkung gegen Corona erzielt werden könnte. Die ForscherInnen glauben, dass eine Kombination aus Lärchenschwamm und Truthahnschwanz zur Hemmung der Virusreplikation bei COVID-19 führen könnte.
In Studie 2 erfolgt die Testung einer modifizierten Version der in Teil 1 beschriebenen Qing Fei Pai Du Tang-Rezeptur, die zur Behandlung von SARS-CoV-2 in Wuhan entwickelt wurde. „Die von uns verwendete Rezeptur basiert auf Vorschriften, die bis ins dritte Jahrhundert zurückreichen“, so Shubov, der Leiter dieser Studie. Die Teilnehmergruppen bestehen aus jeweils 66 PatientInnen, die positiv auf das Corona-Virus getestet wurden und leichte bis mittelschwere Symptome aufweisen. Die ProbandInnen erhalten randomisiert entweder die Pilzkombination, die chinesische Kräutermischung oder ein Placebo, die jeweils über einen Zeitraum von zwei Wochen eingenommen werden müssen. Zudem wollen die WissenschaftlerInnen analysieren, ob die Pilzmischung als Adjuvans zum COVID-19-Impfstoff fungieren könnte. Laut Saxe soll dies über die Messung der Antikörperspiegel der Teilnehmenden zu Beginn der Studie sowie der anschließenden Kontrolle festgestellt werden.
Kommt TCM nun auch zu uns?
Die Meinungen der ForscherInnen gehen auch dahingehend auseinander, als dass man sich noch nicht einig ist, ob es durch die additive TCM-Behandlung zu einer potentiellen Überreizung des Immunsystems kommen könne. Dr. D. Craig Hopp, der stellvertretende Direktor der Division of Extramural Research am National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH), argumentiert: „Wir wissen, dass ein Zytokinsturm das größte Risiko für die COVID-19-Mortalität darstellt, nicht das Virus selbst. Die Gefahr bestehe darin, dass ein immunstimulierender Wirkstoff wie Pilze die Immunantwort einer Person überlagern und zu einem Zytokinsturm führen könne.“ Der Immunologe Dr. Stephen Wilson, Leiter des La Jolla Institute for Immunology, ist anderer Meinung und spricht sich gegen die Auslösung eines Zytokinsturms der Pilze aus, da ihre Bestandteile keine entzündlichen Zytokine imitieren würden.
Anhand der vorliegenden Datenlage lässt sich das immense, größtenteils noch nicht vollends ausgeschöpfte, Potenzial, das der Traditionellen Chinesischen Medizin innewohnt, erkennen. Obgleich man solch alternativmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten nun Glauben schenken mag oder doch lieber auf die im Westen etablierte Schulmedizin zurückgreift, scheint es im globalen Kampf gegen COVID-19 doch durchaus sinnvoll, etwaige Optionen, die zur Eindämmung der Pandemie beitragen könnten, in Betracht zu ziehen und alle Türen, hinter denen jeweils eine Fülle an jahrtausendealtem medizinischen Wissen zu finden ist, offen zu halten.
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