Schon früh wurde mit Beginn der Pandemie bekannt, dass die Nierenwerte ein Indikator für die Schwere eines Covid-19-Verlaufes sind. Die S3-Leitlinie zur stationären Covid-19-Therapie rät daher bei einer Notaufnahme zu einer Bestimmung der Urin- und Nierenwerte. Das ist deshalb so wichtig, weil das Coronavirus SARS-CoV-2 molekulare Gewebeveränderungen in den Nieren verursachen kann. Ein deutsches Forscherteam warnt nun, dass sogar langfristige Nierenschäden drohen können.
Nachuntersuchung empfehlenswert
Die Forschenden der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DgfN) äußern große Besorgnis, dass die vom Coronavirus verursachten molekularen Gewebeveränderungen an den Nieren zu langfristigen Schäden führen können. Das betrifft nicht nur Personen, die während Covid-19 ein akutes Nierenversagen erlitten, sondern alle Covid-19-Erkrankte, bei denen es während der Akuterkrankung zu Entgleisungen bei den Nierenwerten kam. Da diese nicht immer erkannt wurden, raten die DgfN-Medizinerinnen und Mediziner daher zu einer nephrologischen Nachuntersuchung.
Nierenwerte als Anhaltspunkt für Covid-19-Verläufe
Wie die Ärztinnen und Ärzte weiter anführen, werden die Nieren bereits früh im Verlauf einer Covid-19-Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen. Eine damit assoziierte Nierenentzündung (Nephritis) gilt als frühes Warnsignal für schwere Verläufe. Die Studie der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) stellte bei 223 Teilnehmenden fest, dass ein Urin-Teststreifen bereits auf schwere Covid-19-Verläufe hinweisen kann. „Die Nierenwerte sind somit ein Seismograf für den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung“, fügt Studienleiter Professor Oliver Gross hinzu.
Urinuntersuchung sollte schon im Spital erfolgen
In der angesprochenen S3-Leitlinie zur stationären Behandlung von Covid-19 wird deshalb geraten, dass „bei nachgewiesener Covid-19-Infektion und Notwendigkeit einer Hospitalisierung eine Urinuntersuchung (gegebenenfalls wiederholt) mit Bestimmung von Albuminurie, Hämaturie und Leukozyturie erfolgen sollte.“ Denn eine geschädigte Niere ist nicht nur ein prognostischer Marker für den Erkrankungsverlauf, sondern auch ein Risikofaktor für einen tödlichen Ausgang, wie bereits mehrere Studien bestätigten. Frühe Anzeichen für ein erhöhtes Sterberisiko können beispielsweise Eiweißverlust im Urin, Eiweißreduktion im Blut sowie der Verlust von Antithrombin III sein – einer der wichtigsten natürlichen Hemmstoffe der Blutgerinnung.
Mögliche Langzeitfolgen von Nierenversagen
Laut aktuellen Erkenntnissen dauert es etwa sieben Tage, bis sich die Nierenfunktion nach einem akuten Nierenversagen (AKI) erholt. Hiervon abzugrenzen ist nach Angaben der Ärztinnen und Ärzte die „acute kidney disease“ (AKD), bei der die Erholung der Nierenfunktion sogar bis zu 90 Tage dauern kann. Ebenfalls kann daraus eine chronische Nierenerkrankung entstehen. Bereits aus einer früheren Studie ging hervor, dass sich bei insgesamt 41,2 Prozent aller Betroffenen, die Nierenversagen in den Stadien 2 und 3 erlitten, keine Erholung der Nierenfunktion mehr einstellte. Zudem erlitten 14,7 Prozent der untersuchten Personen nach erster Erholung einen Rückfall.
Gleiche Rate bei Covid-19 erwartbar
Die bislang vorliegenden Daten deuten an, dass sich diese Warnsignale auch auf den chronischen Nierenschaden übertragen lassen, der durch die Covid-19-Erkrankung verursacht wird: „Wir können also sagen, dass gut die Hälfte der Patientinnen und Patienten, die ein AKI erleiden, im Nachgang chronisch nierenkrank werden“, fügt Gross hinzu. Diese Rate sei ebenfalls bei einem durch Covid-19 verursachten AKI zu erwarten: „Es ist wichtig, die Betroffenen in eine nephrologische Nachsorge zu bringen, damit durch eine adäquate Therapie der Nierenfunktionsverlust verlangsamt bzw. nach Möglichkeit aufgehalten wird“, unterstreicht deshalb der Experte.
Verschiedene Organe von Covid-19 betroffen
„Es laufen gerade Studien, deren Ergebnisse noch ausstehen, aber es wurden bereits molekulare SARS-CoV-2-assoziierte Gewebeveränderungen in verschiedenen Organen, in denen eine Virusreplikation nachgewiesen wurde, festgestellt“, so Gross weiter. Deshalb sei mit langfristigen Schädigungen der betroffenen Organe nach Covid-19 zu rechnen. „Die Niere muss in der Covid-19-Nachsorge neben den Lungen, Herz und dem Nervensystem im Zentrum stehen“, betonen die Fachleute. Durch eine frühzeitige Behandlung könnte gut der Nierenfunktionsverlust aufgehalten werden, was sie so umso wichtiger macht. Hierfür seien in den letzten Jahren neue, effektive Therapien auf den Markt gekommen, wie beispielsweise SGLT-2-Inhibitoren.
Regelmäßige Kontrolle der Nierenwerte empfehlenswert
Der Gang zum Dialyseapparat könne heutzutage sehr oft über Jahre, sogar Jahrzehnte hinausgezögert werden – vorausgesetzt es erfolgt von Anfang an eine konsequente Behandlung: „Da Nierenerkrankungen erst sehr spät zu Symptomen führen, möchten wir Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht haben, für die Möglichkeit von Langzeitfolgen auf die Nieren sensibilisieren“, fassen die Forschenden zusammen. Der Hausarzt sollte deshalb in regelmäßigen Abständen die Nierenwerte überprüfen – insbesondere nach einer Coronavirus-Infektion. Aber auch andere Risikogruppen, die beispielsweise unter Bluthochdruck oder Diabetes leiden, sollten ihre Nieren einer regulären Kontrolle unterziehen.
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