Die Grippeimpfung bewährte sich bislang als effektives Mittel gegen Influenza. Vor allem Senioren und immungeschwächten Personen wird das Vakzin empfohlen, da es zuverlässig vor schweren Verläufen schützt. Forschern zufolge reichen die medizinischen Vorteile aber sogar noch weiter: Eine aktuelle Studie offenbart, dass regelmäßige Grippeimpfungen das Demenzrisiko verringern.
Frühere Projekte liefern Grundlagen
Frühere Studien deuteten bereits darauf hin, dass Influenza-Vakzine bei chronisch Erkrankten dazu beitragen, einer Demenzerkrankung vorzubeugen. Angesichts der vorliegenden Datenlage beschloss ein amerikanisches Forschungsteam zu verifizieren, ob dieser Effekt auch bei gesunden Menschen eintritt. Im Rahmen des aktuellen Forschungsprojektes untersuchten die Mediziner mehr als 120.000 US-Veteranen im Alter von durchschnittlich 75,5 Jahren. Der Großteil der Probanden war männlichen Geschlechts (91,6 Prozent); lediglich 3,8 Prozent waren weiblich. Die Analyse der Krankenakten erfolgte zwischen dem 1. September 2009 und dem 31. August 2019.
Klassifizierung basiert auf Impfbereitschaft
Basierend auf der Anzahl durchgeführter Grippeimpfungen im Studienzeitraum, wurden die Teilnehmer in Kohorten unterteilt. Anschließend dokumentierten die Forscher, bei wie vielen Personen sich eine Demenz entwickelte. Im Zuge der Diagnose beriefen sich die Experten auf die entsprechenden ICD-9/ICD-10-Codes, die weltweit als eines der anerkanntesten Klassifikationssysteme für medizinische Befunde gelten. Laut diesen Kriterien setzt eine Demenzdiagnose eine kognitive Beeinträchtigung voraus, die den Alltag Betroffener wesentlich beeinträchtigt. Als primäres Merkmal wurde der voranschreitende Gedächtnisverlust festgelegt.
Risikofaktoren in Betracht gezogen
Um die Auswirkungen entscheidender Risikofaktoren zu berücksichtigen, errechneten die Experten Kovariablen hinsichtlich Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit sowie Versicherungsstatus. Damit ein potenzieller Früherkennungsbias die erzielten Resultate nicht beeinflusst, erfassten die Forscher zudem die Frequenz ärztlicher Untersuchungen. Die mediane Beobachtungszeit belief sich bei den geimpften Personen auf 80 Monate, Ungeimpfte wurden einen Monat länger inspiziert. In diesem Zeitraum trat bei 15.933 Studienteilnehmern eine Demenzerkrankung auf.
Geringeres Risiko dank Impfschutz
Die Evaluierung der Daten lässt darauf schließen, dass die regelmäßige Inanspruchnahme einer Grippeschutzimpfung mit einer verringerten Demenzinzidenz korreliert. Dieses Phänomen trat allerdings erst dann auf, wenn insgesamt mehr als sechs Influenza-Vakzine innerhalb des Untersuchungszeitraums injiziert wurden. In diesen Fällen wiesen die Probanden ein um 12 Prozent verringertes Demenzrisiko auf. „Dieser Effekt ist nicht unerheblich. Bei jährlich etwa 330.000 Demenz-Neuerkrankungen in Deutschland könnten somit durch regelmäßige Grippeimpfungen fast 40.000 Menschen jährlich vor der Diagnose Demenz bewahrt werden“, kommentiert der Demenzexperte Professor Dr. Richard Dodel der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Nichtsdestotrotz äußert der renommierte Mediziner auch Kritik: „Allerdings muss man hervorheben, dass es sich hier um eine retrospektive Auswertung handelt, zwar eine mit einer hohen Zahl an Studienteilnehmenden und sorgfältiger Durchführung, die aber dennoch keinen Beweischarakter hat, sondern nur eine Assoziation aufzeigen kann. Es liegen schon mehrere solcher Assoziationsstudien vor, nicht nur zu Grippeimpfungen, sondern auch zu Impfungen gegen Diphtherie oder Tetanus.“
Die Bedeutung der Mikroglia
Das Forschungsteam führt die demenzhemmende Wirkung auf die Steigerung der sogenannten Mikroglia-Aktivität zurück. Hierbei handelt es sich um multifunktionale Zellen, die krankheitserregende Substanzen wahrnehmen und gezielt abbauen. Die Hypothese konnte im Verlauf mehrerer Tierexperimente unter Beweis gestellt werden: Die impfinduzierte Mikroglia-Stimulation resultierte bei mehreren Versuchsobjekten nachweislich in einem gesteigerten Abbau der demenzfördernden Beta-Amyloide. Die gesundheitsschädlichen Proteine akkumulieren sich zwischen den Neuronen und beeinträchtigen somit die Nervenzellen. Das Ziel zahlreicher Demenztherapien besteht deshalb darin, Beta-Amyloide aus dem Organismus abzusondern, bevor die Eiweißstoffe zerebrale Schäden hervorrufen.
Revolution der Demenztherapie?
„Wenn prospektive Studien nun zeigen, dass wiederholte Grippeimpfungen genau diesen Effekt haben und Beta-Amyloid abbauen, wäre das ein Durchbruch für die Demenztherapie“, erklärt Prof. Dodel. Obwohl die aktuellen Ergebnisse bedeutende Indizien liefern, mangle es ihnen aktuell noch an Beweiskraft. Der Neurologe vermutet, dass das geringere Demenzrisiko auch durch eine potenzielle Korrelation zwischen Impfbereitschaft und verringerter Krankheitsinzidenz begründet werden könnte. Da es sich hierbei allerdings lediglich um eine Annahme handelt, seien noch umfangreichere prospektive Forschungen erforderlich, um diesen Zusammenhang näher zu ergründen.
Was meinen Sie?