Wenn man den Begriff „Tierversuche“ hört, entstehen oft äußert unschöne Bilder im Kopf. Kaninchen ohne Fell, Ratten mit verklebten Augen. Warum sind Experimente mit Tieren immer noch erlaubt? Gibt es keine anderen Forschungsmöglichkeiten, bei denen kein Lebewesen leiden muss? Und woher weiß ich, dass für mein Shampoo kein Tier gestorben ist?
Moralisches Dilemma
Tierversuche polarisieren, zweifellos. Wissenschaft und ethische Verantwortung liegen immer in der Waagschale und müssen irgendwie das Gleichgewicht finden. Aber das ist eben oft nicht einfach: Denn ein neues Medikament bedeutet vielleicht Heilung und damit Lebensrettung. Doch wie steht das Leben eines Krebspatienten im Verhältnis zum Leben einer Maus? Es ist Fakt, dass Tierversuche die Forschung vorantreiben und infolge die Gesundheit vieler Menschen verbessern. Die ethische Diskussion darüber ist ebenso wichtig, wie sich hinzuschauen zu trauen und über die Hintergründe bescheid zu wissen. Welche Bedeutung haben Tierversuche für die Forschung heutzutage überhaupt und wo liegen ihre Grenzen?
Tierversuche: Das ist wichtig zu wissen
Was gilt eigentlich als Tierversuch?
Die Definition laut Tierschutzgesetz ist in allen EU-Nationen ähnlich: Ein Tierversuch ist jede Art der Verwendung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken, die für die Tiere mit Schmerzen, Leiden, Ängsten oder dauerhaften Schäden einhergehen. Wann dies der Fall ist, wird vorab individuell geprüft. Manchmal sind die Grenzen fließend.
Wozu werden sie eingesetzt?
Tierversuche werden in der Forschung nur dann eingesetzt, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. In Europa dürfen sie ausschließlich zu bestimmten Zwecken verwendet werden. Etwa um Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit zu finden, Stoffe und Arzneiprodukte zu testen und zur Grundlagenforschung. Auch Kosmetika werden in manchen Ländern an Tieren getestet. Aktuell laufen zahlreiche Studien zu SARS-CoV-2 ebenfalls mithilfe von Tieren.
Wo gibt es Tierversuche?
Weltweit. In Europa finden sie mittlerweile nur für biomedizinische Zwecke statt, Kosmetikprodukte dürfen seit 2013 nicht mehr an Tieren getestet und derartige Produkte auch nicht in der EU verkauft werden; in Teilen der USA, großen Teilen Asiens und anderen Staaten sind sie aber weiterhin erlaubt (in China waren Tierversuche für Kosmetika bis 2014 sogar gesetzlich vorgeschrieben). Gänzlich verboten sind Tierversuche in keinem Land der Welt. Die Niederlande wollen jedoch aus Tiermodellen in der Forschung aussteigen und nur noch Alternativmethoden nutzen. Sie haben 2016 ein Strategiepapier dazu veröffentlicht.
Welche Tiere werden eingesetzt?
Nagetiere werden am häufigsten verwendet. Dabei besonders Mäuse, da sie leicht genetisch modifizierbar sind und auf bestimmte Merkmale hingezüchtet werden können (etwa Mäuse mit Krebszellen). Die Tierart ist aber immer abhängig von der wissenschaftlichen Fragestellung. Meerschweinchen zum Beispiel eignen sich besonders gut für die Untersuchung von Infektionskrankheiten, Rhesusaffen für die Erforschung höherer Hirnfunktionen, während an Kaninchen Impfstoffe und Arzneimittel getestet werden.
Tierschutz in der Forschung wichtig
In den meisten Versuchen ist es nicht vermeidbar, dass Tiere leiden. Dazu gehört nicht nur körperliches Leiden, sondern auch Angst und Stress. Aber schon das Hineingreifen in den Mäusekäfig und das Herausnehmen eines Tieres aus der Gruppe sorgt für Stress und erhöht die Herzfrequenz.
Das macht es schwierig und führt zu sehr genauen Richtlinien und strengen Auflagen für Tierversuche. Sie sollen sicherstellen, dass Versuchstiere so wenig wie möglich leiden. Durchführende müssen sich daher an das Prinzip der 3R halten:
- Replacement (Vermeidung)
- Reduction (Verminderung)
- Refinement (Verbesserung)
Das bedeutet, dass vorher alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, bevor ein Tierversuch erlaubt wird. Wann immer es möglich ist, sind alternative Methoden vorzuziehen (Replacement). Es sollen auch nicht mehr Tiere verwendet werden als unbedingt nötig (Reduction) und die Tests müssen laufend verbessert werden, sodass die Belastung der Tiere minimal ist (Refinement). Das betrifft sowohl schonende Versuchsmethoden als auch tiergerechte Haltung. „Der Einfachheit halber“ als Argument für Tierversuche ist nicht zulässig und auch nicht richtig, denn Zellstudien wären im Vergleich viel einfacher, weil sie weniger aufwendig und auch billiger sind. Züchtung, Haltung und optimale Versorgung von Labortieren (alles unter Auflagen) machen Tierversuche teuer. Manchmal gibt es aber schlicht (noch) keine Möglichkeit, die das erforderliche Wissen auf anderem Weg ermitteln kann.
Grausamkeit vs. Forschungserkenntnis
Am Ende vieler Versuche sterben die Tiere. Das ist keineswegs erstrebenswert und über die Ethik dabei kann lang diskutiert werden. Heute müssen die Testmodelle daher so konzipiert werden, dass die Tiere möglichst wenig leiden. Wenn sie nach dem Versuch so beeinträchtigt sind, dass ein Weiterleben Qualen verursachen würde (und nur dann), werden sie mittels einer schmerzfreien Methode getötet. Unbeeinträchtigte Tiere werden mitunter als Haustiere weitervermittelt. In Deutschland kann man etwa ehemalige Labor-Beagles adoptieren.
Wem das Töten grausam vorkommt, der muss auch bedenken, dass durch die Fleischproduktion jährlich ein Vielfaches an Tieren stirbt. Und zwar häufig mit viel Stress verbunden – obwohl man sich auch ohne Fleisch gesund ernähren könnte.
Können Tierversuche grausam sein? Ja. Genauso muss man aber akzeptieren, dass dadurch zahlreiche Leben bereits gerettet wurden.
Lesen Sie weiter im folgenden Beitrag zur Sinnhaftigkeit von Tierversuchen – Sind sie noch zeitgemäß und welche Alternativmethoden gibt es?
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