Sowohl HIV als auch Leukämie gelten als schwerwiegende Erkrankungen, deren Behandlung Ärzte oftmals vor erhebliche Herausforderungen stellt. Deutschen Medizinern gelang es nun jedoch eine seltene, risikoreiche Therapie erfolgreich durchzuführen – mittels Stammzelltransplantation konnte ein krebskranker HIV-Patient von beiden Krankheiten geheilt werden.
Riskanter Eingriff geglückt
Weltweit schafften es Mediziner erst dreimal einen krebskranken HIV-Patienten durch eine Stammzelltransplantation von beiden Krankheiten zu heilen. Die umstrittene Therapiemethode wurde zuvor bereits an einem Erkrankten aus Berlin und London erfolgreich angewendet. Nun gelang der Eingriff auch einem Forschungsteam des Universitätsklinikums Düsseldorf. Im Rahmen einer Studie erläutern die Forscher den genauen Vorgang der Behandlungsmethode und geben zudem eine detaillierte Längsschnittanalyse von Gewebe- und Blutproben des Betroffenen.
Schwere Erkrankungen diagnostiziert
Bei dem heute 53-Jährigen wurde 2008 HIV festgestellt, drei Jahre danach erfolgte die Diagnose mit Myeloischer Leukämie – eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems. Im Zuge der Therapie wurde der Patient unter anderem einer Stammzelltransplantation unterzogen. „Ziel der Transplantation war von Beginn an sowohl die Leukämie als auch das HI-Virus in den Griff zu bekommen“, erläutert Guido Kobbe vom Universitätsklinikum Düsseldorf, der die Operation durchführte.
Therapieerfolg dank seltener Genmutation
Der Erfolg der Therapie ist unter anderem einer natürlichen Genmutation namens CCR5-Delta32 zu verdanken – sowohl bei den Eingriffen in Berlin und London als auch bei der Transplantation in Düsseldorf wies die Stammzellspenderin diesen genetischen Code auf. Die Mutation ist vor allem in Nord- und Mitteleuropa verbreitet, kommt jedoch in der Allgemeinbevölkerung sehr selten vor. Insbesondere bei HIV-Infektionen spielt sie eine entscheidende Rolle, da sie die Bindung der HIV-Krankheitserreger an die Immunzellen größtenteils verhindert. Somit erweisen sich Träger dieser Mutation als äußerst resistent gegen die gefährlichen Viren.
Symptome nachhaltig gelindert
Im Verlauf der Jahre beobachteten die behandelnden Mediziner einen stetigen Rückgang der HIV-Beschwerden, sodass das Team beschloss die antivirale HIV-Behandlung einzustellen. Um den Therapieerfolg sicherzustellen, wurde der Gesundheitszustand des Mannes mehrere Jahre lang überwacht. Mittlerweile sprechen die Fachleute von einer vollkommenen Heilung des Betroffenen. „Wir können nach unserer intensiven Forschung jetzt bekräftigen, dass es grundsätzlich möglich ist, durch Kombination von zwei wesentlichen Methoden die Vermehrung des HI-Virus nachhaltig zu unterbinden“, erläutert Björn Jensen vom Universitätsklinikum Düsseldorf, Studienautor und Teil des internationalen Ärzteteams. Dabei bezieht sich der Experte zum einen auf die weitgehende Entleerung des Virusreservoirs in langlebigen Immunzellen und zum anderen auf die Weitergabe der HIV-Resistenz durch das Immunsystem des Spenders an den Patienten. „So hat das HI-Virus keine Chance, sich erneut zu vermehren“, bestätigt Jensen.
Behandlung nur für wenige Patienten geeignet
Trotz des nachweisbaren Therapieerfolges erweist sich der Behandlungsansatz derzeit nur für wenige Patienten als geeignet. Dies ist nicht nur auf den Mangel an kompatiblen Stammzellenspendern zurückzuführen, sondern auch auf die Vielzahl ernstzunehmender Risiken, die mit dem Eingriff in Verbindung stehen. Die Fachleute hoffen somit, dass ihre Studie eine bedeutende Forschungsgrundlage schafft, um HIV zukünftig auch bei Infizierten ohne Krebs mittels Stammzelltransplantation erfolgreich zu therapieren. Dieser Schritt soll in Zukunft mittels genveränderter Stammzellen ermöglicht werden. Die entscheidende Genmutation würde hierbei mittels Genscheren wie Crispr/Cas implantiert und mit unterschiedlichen Strategien kombiniert werden, um die HIV-Reservoire im Organismus zu minimieren.
Therapieansatz ermöglicht neue Perspektiven
Laut Boris Fehse, Biomediziner am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, würden sich dadurch gleich mehrere Therapieansätze eröffnen: Unter anderem sei es möglich, Blutzellen vor HIV zu schützen oder HIV-infizierte Zellen herauszuschneiden. Obwohl sich der Fachmann der geringen Anzahl an Stammzellenspendern sowie der potenziellen Nebenwirkungen und Abstoßungsreaktionen bewusst ist, würden die vorliegenden Ergebnisse dennoch Grund zur Hoffnung geben: „Es ist sehr gut vorstellbar, dass in naher Zukunft HIV-Patienten, die aufgrund einer Blutkrebserkrankung eine Stammzelltransplantation benötigen, immer das Angebot erhalten werden, dass das Transplantat vor der Infusion mit einer Genschere behandelt wird.“ Hierbei würden je nach Erkrankung sowohl eigene als auch Spenderstammzellen infrage kommen.
Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich
Angesichts der aktuellen Forschungslage sei es weiterhin essenziell Nutzen und Risiken wohlüberlegt abzuwägen. Dem Molekularbiologen Toni Cathomen zufolge sei es mit der richtigen Therapie bereits jetzt möglich HIV-Infizierten eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie der Normalbevölkerung zu ermöglichen. In Anbetracht der zahlreichen Risiken, die mit einer Stammzelltransplantation assoziiert werden, sei ein derartiger Eingriff für HIV-Infizierte in einem stabilen Gesundheitszustand nicht zu verantworten. Dennoch verweist der Experte auf überzeugende Vorteile, die mit einer solchen Transplantation einhergehen: „Im Gegensatz zur konventionellen HIV-Therapie, die lebenslang eingenommen werden muss, verspricht der genetische Ansatz nach einmaligem Einsatz der Genscheren eine Heilung, das heißt eine komplette Remission und damit das Absetzen der antiretroviralen Therapie.“ Der Stammzellenforscher geht davon aus, dass diese Therapieform dank des fortlaufenden medizinischen Fortschritts für ein breiteres Spektrum an Patienten zugänglich gemacht werden könnte.
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