Im Kampf gegen das eine Virus wurde ein anderes besiegt: Afrika ist offiziell frei von Polio, der vom Poliovirus verursachten Kinderlähmung. Dies erklärte die Africa Regional Certification Commission (ARCC) am gestrigen Dienstag. Seit 1988 kämpft die Weltgemeinschaft gegen die Erkrankung. Nun haben sich die unermüdlichen Impfkampagnen bezahlt gemacht – auch im Kampf gegen Corona.
Weltweite Reduzierung der Fälle um 99 Prozent
Poliomyelitis (Kinderlähmung) ist eine ansteckende, von Viren verursachte Erkrankung, die das Nervensystem befällt. Sie kann innerhalb von wenigen Stunden zur Lähmung führen, vor allem Kleinkinder unter fünf Jahren sind betroffen. Übertragen wird sie meist fäkal-oral (über den Konsum von kontaminierten Lebensmitteln, die Kontakt mit infektiösem Stuhl hatten), aber auch durch Tröpfcheninfektion.
Jahrzehntelang galt Polio als große Bedrohung für Kinder weltweit, bis in den 1950ern die Schluckimpfung entwickelt wurde. 1988 startete die WHO gemeinsam mit dem UN-Kinderhilfswerk und der Rotary Foundation ein global koordiniertes Impfprogramm. Seitdem gingen die Fälle weltweit um über 99 Prozent zurück, Europa ist seit 2002 offiziell poliofrei. Poliofrei bedeutet, dass drei Jahre in Folge kein Infektionsfall registriert wurde. Dann gilt die Übertragungskette als unterbrochen, im Jahr darauf wird die Seuche für ausgerottet erklärt.
Historischer Tag für Afrika
In Afrika war das einwohnerreiche Nigeria der letzte Staat, der mit der Krankheit kämpfte. Die wilde Form des Virus ist damit auf dem Kontinent vollständig ausgerottet. Rose Leke, Leiterin der unabhängigen Africa Regional Certification Commission (ARCC) spricht von einem „historischen Tag für Afrika“. Dennoch fehlt noch ein Schritt zur endgültigen globalen Auslöschung von Polio. In einigen Regionen gibt es noch vereinzelt Fälle, wo die Krankheit durch die Impfung (mit Lebendimpfstoff) selbst ausgebrochen ist. Außerdem haben zwei weitere Länder der Welt weiterhin mit wilden Poliostämmen zu kämpfen: Pakistan und Afghanistan.
Nachhaltiger Nutzen der Impfprogramme
Afrika darf jedoch offiziell jubeln. Aber nicht nur die Ausrottung der Krankheit allein ist für den Kontinent ein Erfolg. Das Polio-Impfprogramm sei in Sachen Personal, Infrastruktur und Expertise größer als jedes andere afrikanische Gesundheitsprogramm, so Pascal Mkanda, Leiter der Polio-Bekämpfung bei der WHO Afrika. Diese aufgebauten Strukturen könnten nun auch im Kampf gegen das Coronavirus zum Einsatz kommen, was bereits jetzt mit Helfern und Infrastruktur geschehe. Das sei das wahre Erbe des Programms, welches auch für zukünftige Herausforderungen genutzt werden könne.
Impfarbeit war nicht immer einfach
Ein großes Problem und Hindernis im Kampf gegen Polio und andere Krankheiten stellen neben den schlechten hygienischen Bedingungen auch Kriege dar. Wenn in einem Land Krieg ausbricht und das Gesundheits- sowie Impfsystem lahmlegt, ist Polio meist nicht weit. Während des syrischen Bürgerkrieges etwa sank die Impfrate drastisch, sodass das Virus 2013 nach mehr als zehn Jahren ohne Krankheitsfälle erneut ausbrach. In Regionen um Afghanistan und Pakistan verbreiten radikale Islamisten Verschwörungstheorien gegen den Westen und behindern so die Impfkampagnen. Auch in afrikanischen Staaten war die Impfarbeit nicht immer einfach. Konflikte, schlechte Infrastruktur und Misstrauen gegenüber Impfungen erschwerten die Kampagnen. Dieses Jahr ist vor allem die aktuelle Corona-Pandemie ein großes Hindernis. Viele Impfprogramme wurden ausgesetzt, alleine in Pakistan fehlt Schätzungen zufolge deshalb rund 40 Millionen Kindern die wichtige Schutzimpfung.
Weiterhin Aufmerksamkeit notwendig
Trotz des großen Erfolges gegen die Erkrankung seit den 80er-Jahren ist Aufmerksamkeit gefragt. Denn auch für poliofreie Länder bestehe nach wie vor das Risiko der Einschleppung. Der Kampf ist erst dann beendet, wenn es keinen einzigen Fall von Polio mehr auf der Welt gibt. Flächendeckende Impfung hat daher an jedem Ort Relevanz; besonders auch im Hinblick auf alle Arten der Bevölkerungsbewegungen von Tourismus bis Migration.
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