Regelmäßig finden sich in Medien Berichte darüber, wie sich Vollmond die Stimmung beeinflusst. Für Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, bedeutet dies oftmals eine Verschlimmerung ihrer Beschwerden. Doch führt Vollmond auch dazu, dass Menschen vermehrt dazu neigen Selbstmord zu begehen? Um dies herauszufinden, analysierten Forscher der medizinischen Universität in Indiana Daten aus der Prä-COVID-Zeit.
Mehr Suizide während Vollmondphasen
Insgesamt begutachteten die Psychiater 776 Suizide, die zwischen Januar 2012 und Dezember 2016 registriert wurden. Dazu beurteilten sie die Daten in Bezug auf die Tages- und Jahreszeit sowie auf die jeweilige Mondphase, in denen sich die Todesfälle ereigneten. Aus den Ergebnissen ging deutlich hervor, dass die Suizid-Rate bei Vollmond signifikant höher lag: Durchschnittlich 0,355 Selbstmorde fielen pro Tag in diesen Zeitraum. Hingegen lag der Wert in allen anderen Mondphasen niedriger – nämlich bei 0,282. Damit ist das Risiko für einen Suizid während der Vollmond-Wochen um 20 Prozent höher als im Rest des Jahres.
Auch das Alter der Betroffenen spielt eine Rolle: Auf unter 30-Jährige hat der Mond scheinbar keinen Einfluss. Menschen über 55 Jahren spüren die Auswirkungen auf ihr psychisches Wohlbefinden allerdings wohl deutlicher.
Zirkadianer Rhythmus – die innere Uhr
Als Grund für die steigende Suizidalität bei Vollmond sehen die Forscher einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus: Die überhöhte Helligkeit stört den Schlaf, was wiederum die Psyche von depressiven Menschen negativ beeinflusst.
Auch auf genetischer Ebene konnte gezeigt werden, dass der zirkadiane Rhythmus unter dem Einfluss des Mondes steht. Den Forschern lagen dazu Blutproben von 45 Personen vor, die Selbstmord begangen hatten. Diese untersuchten sie auf Biomarker, die mit erhöhter Suizidalität verbunden werden. 154 solcher Biomarker sind bekannt – davon werden 18 von Genen exprimiert, die auch den Tag-Nacht-Rhythmus bestimmen. In den Blutproben der Betroffenen konnten neun davon als erhöht nachgewiesen werden. Die Expression von vier dieser Gene wird durch die Mondphasen beeinflusst, während die anderen fünf Gene je nach Tageszeit und Monat in Proteine übersetzt werden. Sind die Biomarker im Blut also erhöht, dann deutet das auf eine Überreaktion der inneren Uhr hin – der zirkadiane Rhythmus ist aus der Bahn geraten. Ursache für das Ungleichgewicht können Depressionen oder Alkoholmissbrauch sein.
Risiko im September besonders hoch
Abseits der Mondphasen haben auch noch die Tageszeit und der Monat Einfluss auf die Suizidalität: Innerhalb der untersuchten fünf Jahre nahmen sich im September durchschnittlich 75 Menschen das Leben. In allen anderen Monaten waren es hingegen durchschnittlich 63,3 Personen. Hinter dem erhöhten Suizid-Risiko im Herbst steckt vermutlich die Tatsache, dass die Tage zu dieser Jahreszeit immer kürzer werden. Aber auch eine Zunahme des Stresslevels nach einer Sommerpause ist nicht auszuschließen.
Außerdem erfolgten die meisten Suizide am Nachmittag zwischen 15 und 16 Uhr – nicht wie erwartet in der Nacht. Durchschnittlich acht Menschen nahmen sich während dieser Stunde das Leben. Zu allen anderen Tageszeiten waren es im Durchschnitt 2,4 Personen. Erklären lässt sich diese Tatsache anhand des Melatonin-Spiegels im Blut: Im Laufe des Nachmittags steigt der Spiegel an, um uns langsam auf den Abend vorzubereiten. Dabei trübt sich aber auch unsere Stimmung – für depressive Personen bedeutet dies wiederum eine Verschlechterung ihrer Symptome.
Wie sich Selbstmorde verhindern lassen
Die Ergebnisse der Studie zeigen bestimmte zeitliche Fenster auf, in welchen die Wahrscheinlichkeit für Suizide erhöht ist. Um in Zukunft mehr Menschen vor dem Selbstmord zu bewahren, braucht es eine bessere Betreuung für Betroffene besonders in diesen Zeiträumen. Auch eine medikamentöse Behandlung, etwa mit Lithium, kann den psychisch Erkrankten helfen, meinen die an der Studie beteiligten Psychiater.
Grundsätzlich ist ein flächendeckendes Therapieangebot für Betroffene wichtig. Außerdem sollte Prävention noch stärker gefördert werden – auch in Deutschland. Besonders gefährdet sind Menschen, die Opfer von Gewalterfahrungen wurden oder unter anderen Krisensituationen leiden. Auch bereits vorhandene psychische Erkrankungen lassen das Selbstmord-Risiko steigen. Erkennt man Symptome bei sich selbst, Familienmitgliedern oder Freunden, ist es ratsam professionelle Hilfe zu suchen – die meisten Suizide wären nämlich vermeidbar.
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