Die Zahlen des deutschen Krebsregisters sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2018 erkrankten etwa 498.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, für das Jahr 2022 prognostizieren Fachleute einen Anstieg auf über 510.000 Krebsneuerkrankungen. Obgleich die Neuerkrankungsrate in Anbetracht der gestiegenen Lebenserwartung in den letzten 20 Jahren – insbesondere bei Männern – deutlich gesunken ist, sind die Zahlen dennoch nach wie vor erschreckend hoch. Eine aktuelle Studie der University of Pennsylvania in den USA lässt indes Hoffnung in Form einer neuen innovativen Immuntherapie gegen diverse Blutkrebsarten aufkommen. Einige WissenschaftlerInnen klassifizieren sie bereits jetzt als Game Changer im Bereich der Krebsforschung – doch entspricht dies tatsächlich der Realität oder handelt es sich dabei lediglich um eine Wunschvorstellung?
Revolution dank CAR-T-Zellen-Immuntherapie?
In den letzten zehn Jahren haben sich Immuntherapien zu einer immer vielversprechenderen Methode der Krebsbekämpfung entwickelt. Wie der Name bereits erahnen lässt, wird dabei das körpereigene Immunsystem verwendet, um die Krankheit zu bekämpfen. Laut der Deutschen Krebsgesellschaft stellt die sogenannte CAR-T-Zellen-Immuntherapie eine der neueren Therapieformen dar, um Formen von Blutkrebs (Leukämie) bzw. Lymphdrüsenkrebs effektiv zu heilen. Doch wie funktioniert eine CAR-T-Zellen-Therapie genau?
KrebspatientInnen werden dafür T-Lymphozyten oder kurz T-Zellen, eine Gruppe von weißen Blutkörperchen, die der Immunabwehr dienen, entnommen, da die Anzahl der vom Immunsystem eigens produzierten T-Zellen oftmals zu gering ist, um Krebszellen erkennen und bekämpfen zu können. Im Labor erfolgt die Modifizierung der T-Zellen indem ihrer DNA ein Protein, das den Namen chimärer Antigenrezeptor (en. chimeric antigen receptor) oder CAR trägt, eingesetzt wird. Das Eiweiß haftet auf der Oberfläche der T-Zellen an, erkennt und bekämpft die vorhandenen Krebszellen. Anschließend werden den Erkrankten die manipulierten CAR-T-Zellen wieder gespritzt, die sich nach der Rückführung in den Körper im Laufe mehrerer Wochen um das bis zu 10.000-Fache vermehren sollen. Laut Dr. Steven Rosenberg, Chirurg und Krebsforscher am Nationalen Krebsinstitut in den USA, werden die PatientInnen so mit ihren eigenen Zellen kuriert. Es handle sich folglich um ein „lebendes“ Medikament, da die Manipulation der CAR-T-Zellen ihren, über Jahre andauernden, beständigen Erhalt bzw. ihre kontinuierliche Vermehrung garantieren würde.
Dauerhafte Heilung von Krebs propagiert
Die eingangs erwähnte amerikanische Studie will nun den langfristigen Erfolg der soeben in ihren Grundzügen skizzierten Behandlung belegen: Drei Patienten wurden im Jahr 2010 im Rahmen der klinischen Studie mittels der Immuntherapie behandelt. Bei zwei der Patienten, Doug Olson und William Ludwig, schlug die Therapie gut an und sie blieben über zehn Jahre lang krebsfrei. Laut dem Fachjournal Nature, in dem die Studie unter anderem publiziert wurde, gehörten die beiden Männer zu den ersten Krebspatienten überhaupt, die eine CAR-T-Zellen-Behandlung erhielten. Studienleiter Dr. Carl June, Immunologe an der Universität Pennsylvania, schilderte die positiven Ergebnisse der Studie gegenüber der New York Times: „Jetzt können wir endlich das Wort ‚Heilung‘ mit CAR-T-Zellen aussprechen.“ Die modifizierten Zellen konnten noch lange im Blutkreislauf nachgewiesen werden, selbst nachdem die lebensgefährlichen Krebszellen bereits verschwunden waren.
Zudem konnten die ForscherInnen feststellen, dass es sich bei den vorhanden gebliebenen Zellen nicht wie ursprünglich angenommen um die „Killer“-T-Zellen handelte, die kranke Zellen angreifen, sondern um „Helfer“-T-Zellen, die normalerweise an der Erkennung von Antigenen sowie der anschließenden Einleitung einer entsprechenden Immunantwort beteiligt sind. Laborexperimente ergaben jedoch, dass die CAR-T-Helferzellen interessanterweise ihre zelltötende Fähigkeit beibehielten. Diese Ergebnisse könnten WissenschaftlerInnen helfen, jene Eigenschaften von CAR-T-Zellen zu identifizieren, die sie in Zukunft nachahmen wollen. „Daraus wird sich eine Menge zusätzlicher Arbeit ergeben, um zu sehen, wie diese Zellen entstehen und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln, nachdem sie infundiert wurden“, so Dr. David Maloney, der medizinische Leiter der zellulären Immuntherapie am Immunotherapy Integrated Research Center des Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, und fügt hinzu, dass Kliniker in der Forschung so „potenziell Zellen herstellen könnten, die jene Merkmale aufweisen, die mit besseren Ergebnissen verbunden sein könnten“.
Zurzeit kein großflächig einsetzbares Verfahren
Die Behandlung erwies sich bei Menschen mit bestimmten Blutkrebsarten, wie z.B. Leukämie, Lymphomen, multiplen Myelomen oder auch akuter lymphatischer Leukämie (ALL) bei Kindern, als äußerst erfolgreich. Weiters handelt es sich dabei – im Gegensatz zu Chemotherapie oder Bestrahlung – um ein einmaliges Verfahren, mithilfe dessen viele der schlimmsten Nebenwirkungen einer Krebsbehandlung umgangen werden können. Dennoch kann die Behandlung mit CAR-T-Zellen nach aktuellem Forschungsstand noch nicht als Standardtherapieform kategorisiert werden, die weitschichtig zum Einsatz kommen kann. Primär aufgrund dessen, dass die Therapie auf häufig verbreitete Krebsarten wie Darm-, Magen-, Prostata-, Brust- oder auch Gebärmutterhalskrebs vorläufig noch keine Wirkung zeige.
Ein weiteres Manko der Behandlung besteht darin, dass CAR-T-Zellen auch gesundes Gewebe angreifen sollen und Krebserkrankte dadurch anfälliger für Infektionen werden würden. Da die Therapie beim Versuch Krebszellen abzutöten das Immunsystem auf Hochtouren schaltet, kann es überdies zu einer überschießenden Immunreaktion, oft auch als Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) bezeichnet, kommen. Die Zellen, auf die die manipulierten T-Zellen abzielen, setzen eine Gruppe von Proteinen frei, die als Zytokine bekannt sind und eine massive Entzündungsreaktion auslösen können. Dies kann den Körper überfordern und zu lebensbedrohlichen Nebenwirkungen wie hohem Fieber und gefährlich niedrigem Blutdruck führen. Die Behandlung kann zudem eine vorübergehende Enzephalopathie oder eine temporäre Entzündung des Gehirns verursachen.
Zukunftsausblick und Perspektiven
Obgleich der gegenwärtige Status quo noch nicht ausreicht, um die CAR-T-Zellen-Immuntherapie in großem Maßstab einzusetzen, stellt sie dennoch eine vielversprechende Methode dar, um künftig neben anderen etablierten Therapieformen an vorderster Front gegen alle möglichen Arten von Krebs zu stehen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Ausweitung der Therapie von Einzelfällen auf Behandlungen, die auf breiter Basis angewandt werden können, jedoch essenziell. Es gilt demnach eine Vielzahl an PatientInnen zu behandeln – auch solche mit milderen Erkrankungen. ForscherInnen wird es dadurch nicht nur möglich sein die CAR-T-Zellen-Therapie selbst besser zu verstehen, sondern auch die Entstehungs- bzw. Funktionsweise sowie die Ausbreitung von Krebs an sich präziser zu analysieren. „Es ist eine sehr individuelle Behandlung, aber wir haben gezeigt, dass sie wirksam sein kann“, so Rosenberg, da die Therapie den PatientInnen wieder ein relativ normales Leben ermöglichen könne.
Was meinen Sie?