Übergewicht, exzessiver Alkoholkonsum oder mangelnde soziale Kontakte – Demenz wird durch diverse Aspekte begünstigt. Dennoch gilt die genaue Entstehung des Krankheitsbildes bislang als unerforscht. Einem internationalen Forschungsteam gelang es nun einen weiteren potenziellen Risikofaktor zu entschlüsseln, der bei der Demenz-Prävention eine entscheidende Rolle spielen könnte.
Bisher bekannte Risikofaktoren
Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sind aktuell 1,6 Millionen Menschen von Demenz betroffen – Schätzungen zufolge könnte sich diese Zahl bis zum Jahr 2025 sogar auf 2,8 Millionen erhöhen. Neben genetischen Prädispositionen und der steigenden Lebenserwartung wird das Demenzrisiko auch maßgeblich von beeinflussbaren Risikofaktoren bestimmt. Dazu zählen unter anderem soziale Isolation, Drogenkonsum, mangelnde Bildung, Bluthochdruck, Adipositas oder Luftverschmutzung.
Führt Abführmittel zu Demenz?
Im Zuge einer populationsbasierten Kohortenstudie analysierte ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Experten aus den USA, dem Vereinigten Königreich und China, inwieweit diverse Abführmittel das Demenzrisiko beeinflussen. Sämtliche Angaben wurden einer umfangreichen Biobank aus Großbritannien entnommen. Insgesamt werteten die Mediziner die Daten von 502.229 mehrheitlich weiblichen Teilnehmern aus, welche ein Durchschnittsalter von 56,5 Jahren aufwiesen. Zu Beginn der Untersuchungen litt keiner der Probanden an einer Demenzerkrankung, 3,6 Prozent konsumierten allerdings regelmäßig Abführmittel. Neben soziodemografischen Merkmalen berücksichtigten die Fachleute auch potenzielle Begleiterkrankungen, Familienanamnesen sowie die Medikamenteneinnahme sämtlicher Versuchsteilnehmer.
Demenzrisiko teils steigend
Im Verlauf des Untersuchungszeitraumes entwickelten 1,3 Prozent der Abführmittel-einnehmenden Probanden eine neurodegenerative Erkrankung. Bei jenen Personen, die diese Medikamente nicht regelmäßig zu sich nehmen, fiel diese Rate jedoch weitaus geringer aus – nur 0,4 Prozent erhielten eine Demenz-Diagnose. Basierend auf den vorliegenden Daten berechneten die Experten bei häufigem Abführmittel-Konsum ein um 50 Prozent erhöhtes Demenz-Risiko. Die Forscher betonen, dass insbesondere das Risiko für vaskuläre Demenz gesteigert wird. Bei anderen Formen der degenerativen Erkrankung stellten die Experten hingegen keine Auffälligkeiten fest: So konnte bislang keine Korrelation zwischen der Einnahme sogenannter Laxantien und einem erhöhten Risiko für Alzheimer-Demenz belegt werden.
Die Ursache liegt im Darm
Dem Forschungsteam zufolge wird vor allem eine Sorte von Abführmitteln mit einem gesteigerten Demenzrisiko assoziiert: osmotisch wirksame Präparate. Diese sorgen aufgrund ihrer hohen Salzkonzentration dafür, dass Wasser vermehrt im Darm absorbiert wird, was wiederum zu verdünntem Stuhl führt. Bei häufiger Einnahme dieser Substanzen besteht das Risiko, dass der Mineralstoff- und Wasserhaushalt des Organismus aus dem Gleichgewicht gerät und die Darmflora somit maßgeblich geschädigt wird. Doch die negativen Auswirkungen beschränken sich nicht nur auf den Verdauungstrakt: Einer zuvor durchgeführten Studie zufolge beeinträchtigt ein gestörtes Darmmikrobiom die Signal- und Botenstoffübertragung zwischen Darm und Gehirn, was in weiterer Folge mit einem geschwächten Immunsystem, psychischen Beschwerden und einer verringerten Gedächtnisleistung einhergehen kann.
Darüber hinaus gelang es Medizinern bereits nachzuweisen, dass Abführmittel die sogenannte Epithelbarriere beschädigen – eine bedeutende Schutzschicht, die den Darm vor Keimen, Umweltgiften und Allergenen schützt. Sobald diese Außengrenze durchlässig wird, können unter anderem neurotoxische Stoffwechselprodukte in das zentrale Nervensystem vordringen und dort Entzündungsprozesse verursachen.
Weitere Forschung erforderlich
Trotz der gewonnenen Erkenntnisse verweist Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, auf klare Einschränkungen der Studie: „Die Studie ist keine randomisierte-kontrollierte Studie, daher nicht beweisgebend, dass Abführmittel das Demenz-Risiko tatsächlich erhöhen. Weitere Untersuchungen sind notwendig. Dennoch raten wir angesichts des Ergebnisses zur Vorsicht im Umgang mit Laxantien, gerade vor dem Hintergrund, dass Demenzerkrankungen immer weiter zunehmen“, erläutert der Mediziner.
Gesundheitsförderliche Alternativen
Laut der DGN konsumieren aktuell etwa 20 Prozent der allgemeinen Bevölkerung und 70 Prozent der Pflegeheimbewohner regelmäßig Abführmittel, um ihre Darmbewegungen zu stimulieren. Prof. Dr. Berlit zufolge gebe es allerdings viele gesundheitsfördernde Alternativen, mit denen ein vergleichbarer Effekt erzielt werden könnte. Der Neurologe empfiehlt vor allem ausreichend zuckerarme Getränke sowie ballaststoffreiche Kost in Form von Vollkornprodukten, Obst und Gemüse. „Eine solche Ernährungsumstellung hat womöglich gleich eine doppelte Schutzwirkung gegen Demenz: Zum einen lässt sich in vielen Fällen auf Abführmittel verzichten, die einen potenziell schädigenden Einfluss auf die Hirngesundheit haben, zum anderen gilt eine gesunde Ernährung per se als wichtige Säule der Demenzprävention“, betont Berlit.
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