Vergangenen Donnerstag eroberten russische Truppen das berühmt berüchtigte Atomkraftwerk in Tschernobyl, wo in weiterer Folge erhöhte Radioaktivität gemessen werden konnte. Die jüngsten Entwicklungen, Drohgebärden Russlands inklusive, lassen einen Atomschlag realistischer denn je erscheinen. Die Angst vor radioaktiver Strahlung ist berechtigt, und es wundert dementsprechend nicht, wenn UserInnen auf Social Media bereits zur vorsorglichen Einnahme von Kalium-Jodid-Tabletten aufrufen. Dass diese in der gegenwärtigen Situation jedoch von geringer Effizienz sind und im schlimmsten Fall sogar erhebliche gesundheitliche Schäden verursachen können, scheint vielen nicht bewusst zu sein.
Was bringen Jodtabletten?
Jod dient dem menschlichen Körper zur Regulierung des Stoffwechsels. Da er dieses nicht selbst produzieren kann, erfolgt die Aufnahme über die Nahrung in Form von Milch, Eiern oder Meerestieren, über Getränke sowie über die Atemluft. Kommt es zu einem Ungleichgewicht des Jodhaushalts, können daraus krankhafte Veränderungen oder Störungen der Schilddrüse resultieren. Tritt etwa bei einem schweren Reaktorunfall radioaktives Jod aus, kann es durch das Einatmen vom Körper aufgenommen und in der Schilddrüse gespeichert werden, erläutert das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).
„Die Schilddrüse benötigt Jod als Grundstoff für die Produktion von Schilddrüsenhormonen, man nimmt es über die Nahrung auf. Bei einem Atomunfall kann radioaktives Jod freigesetzt werden, es gleicht chemisch und biologisch dem nicht-radioaktiven, der Körper kann es nicht unterscheiden. Deshalb kann es sich in der Schilddrüse anreichern, im schlimmsten Fall kann es dort Krebs verursachen“, so auch Franz Kainberger, Professor für Radiologie an der Med-Uni Wien. Hier kommen die Kalium-Jodid-Tabletten, die landläufig als Jodtabletten bekannt sind, ins Spiel: Durch ihre rechtzeitige Einnahme soll verhindert werden, dass radioaktives Jod überhaupt in der Schilddrüse eingelagert wird. Denn ist die Schilddrüse bereits mit nicht-radioaktivem Jod gesättigt, kann die Aufnahme von radioaktivem nicht länger erfolgen und die Gefahr von strahlenbedingtem Schilddrüsenkrebs ist gebannt – hierbei spricht man von einer sogenannten „Jodblockade“.
Jod-Prophylaxe? Nein danke
Sowohl das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als auch das BMUV warnt ausdrücklich vor der Einnahme von Kalium-Jodid-Tabletten in Eigenmedikation. Zuallererst sind die im Handel erhältlichen, medizinischen Jod-Tabletten, die etwa zur Behandlung von Schilddrüsenkrankheiten eingenommen werden, viel zu niedrig dosiert, um für eine Jodblockade sinnvoll nutzbar zu sein. So rät auch Kainberger eindringlich von der eigenmächtigen Einnahme ab: „Sie haben bei Verstrahlungsgefahr nur einen vergleichsweise geringen Effekt. Allerdings können sie bei Menschen mit einer Schilddrüsenüberfunktion diese sogar noch verstärken und so gesundheitliche Probleme auslösen.“
Die oben beschriebene Wirkung erzielen lediglich explizit hochdosierte Kalium-Jodid-Tabletten, die im atomaren Katastrophenfall von den Katastrophenschutz- sowie Gesundheitsbehörden an die Bevölkerung ausgehändigt werden. Das BfS weist deutlich darauf hin, dass die Einnahme von Jodtabletten zur Schilddrüsenblockade „nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die zuständigen Behörden erfolgen“ sollte, da die exzessive Einnahme von Jod erhebliche gesundheitliche Risiken berge. Neben der bereits erwähnten Verstärkung einer bestehenden Schilddrüsenüberfunktion, kann eine solche durch große Mengen an Jod sogar ausgelöst werden. Zu den möglichen Symptomen einer Hyperthyreose zählen Unruhe, Stimmungsschwankungen, Nervosität, Augenkrankheiten oder auch Potenz- und Fruchtbarkeitsprobleme. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie mahnt hinsichtlich eines unbedachten Umgangs mit Jodtabletten ebenfalls zur Vorsicht, da eine Überfunktion der Schilddrüse weiters mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Gewichtsverlust sowie Bluthochdruck in Verbindung stünde.
In Bezug auf den gegenwärtigen Ukraine-Konflikt sind sich die ExpertInnen einig, dass in Deutschland wegen der größeren Entfernung nicht mit der Notwendigkeit der Einnahme von hochdosierten Jodtabletten zu rechnen ist. Zudem besäße Europa ein exzellent ausgebautes Strahlenfrühwarnsystem, das erhöhte Strahlengefahr sowie radioaktiv gefährliche Wolken auf dem Weg hierher postwendend erkennen würde. In diesem Sinne, zum Abschluss, abermals die eindringlichen Worte des BMUV: „Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen“.
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