Hände waschen, Masken tragen, Abstand halten. Diese Maßnahmen müssten doch genügen, um eine Infektion mit Corona zu vermeiden – oder? Neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft sagen etwas anderes.
Luftübertragung bisher unterschätzt
Bereits im April riefen US-Forscher der National Institutes of Health in Bethesda zum Tragen von Masken auf. Anlass war ein Experiment, das zeigte, wie viele Mikrotröpfchen beim Sprechen tatsächlich ausgestoßen werden. In geschlossenen Räumen, so das Ergebnis, blieben diese im Schnitt zwölf Minuten lang in der Luft. Doch die Übertragung von infektiösen Coronaviren dürfte bei Weitem unterschätzt worden sein.
Mehr als 230 Forscher und Experten wenden sich nun in einem offenen Brief an die Gesundheitsbehörden weltweit. In dem von der Oxford University Press for the Infectious Diseases Society of America veröffentlichten Bericht fordern sie eine Anerkennung der Gefahr bei der Übertragung durch Aerosole. Darin heißt es, in geschlossenen Räumen könne sich ein Aerosol, also ein Mikrotröpfchen mit einer Größe von 5 μm, mehrere zehn Meter weit ausbreiten. Das übertrifft die Größe eines durchschnittlichen Raumes bei Weitem! Bei typischer Luftgeschwindigkeit setze es sich etwa 1,5 m über dem Boden ab. Das Problem dabei: Auch Masken können die mikroskopisch kleinen Tröpfchen nur unzureichend filtern. Dadurch seien die Empfehlungen der WHO, regelmäßig Hände zu waschen, Mund und Nase zu bedecken und Abstand zu halten, zu wenig.
Welche neuen Erkenntnisse gibt es?
Die Experten beziehen sich in ihrem Manuskript auf folgende Ergebnisse:
- Retrospektive Studien zur SARS-CoV-1-Epidemie (2002/03) ergaben, dass Luftübertragung die wahrscheinlichste Erklärung für die räumliche Verteilung sei. Mehrere Analysen zeigen dasselbe Ergebnis für das aktuelle Coronavirus. Drei chinesische Familien steckten sich in einem Restaurant an, obwohl sie weder direkten noch indirekten Kontakt miteinander hatten. Die schlechte Belüftung des Raumes wurde als wahrscheinlicher Grund festgestellt. Auch die Behauptung, dass Viren in der Luft schnell absterben, wurde widerlegt. In der Umgebung infizierter Personen wurden außerdem lebende Viren entdeckt, die weiterhin ansteckend waren.
- Eine weitere Studie zeigte, dass Viren im Gegensatz zu Bakterien auch sehr gut in Umgebungen überleben können, die eine geringere relative Luftfeuchtigkeit aufweisen. Im Fall von Covid-19 ist also die Luftübertragung als mindestens genauso wichtig anzusehen wie die Übertragung durch Tröpfchen.
- „Superspreader-Events“: Als solch ein Event wird eine Zusammenkunft von einer Gruppe von Menschen bezeichnet, bei der es zu vielen Ansteckungen kommt. Diese werden verursacht durch eine Person, einen „Superspreader“. Analysen zeigten, dass auch hier enge, geschlossene Räume und unzureichende Belüftung die wahrscheinlichste Ursache für die hohe Ansteckungsrate sind. Wenn die Luft steht und viele Menschen an einem Ort zusammenkommen, hat das Virus freie Wahl für seinen nächsten Wirten.
Was können wir dagegen tun?
Die WHO warnt insbesondere vor den 3 Cs:
Crowded places (überfüllte Räume)
Close-contact settings (Zusammenkünfte mit engem Körperkontakt)
Confined and enclosed spaces (enge, geschlossene Räume)
Wichtig ist daher: regelmäßig lüften, weiterhin Maske tragen, Abstand halten, Hände waschen. Und die Social-Distancing-Party auf das nächste Wochenende zu verlegen, sollte das Wetter nicht schön genug für den Garten sein.
Was meinen Sie?