Unvorhersehbare Schwellungsattacken, die verschiedenste Körperregionen betreffen können, werden durch die vererbbare Erkrankung mit dem Namen Hereditäres Angioödem verursacht. Sie gilt bis heute als unheilbar und auch die momentanen Behandlungsmöglichkeiten lassen zu wünschen übrig. Wissenschaftlern aus Deutschland und Österreich ist nun aber ein entscheidender Forschungsdurchbruch in der Medikamentenentwicklung für Betroffene gelungen.
Im schlimmsten Fall Erstickungsgefahr
Bei dem Hereditären Angioödem (HAE) handelt es sich um eine vererbte (hereditäre), unheilbare Erkrankung, die durch Flüssigkeitsanlagerungen und Schwellungen (Ödeme) der Unterhaut charakterisiert ist. Sie verläuft in unvorhersehbaren Schüben, die meist wenige Tage andauern und von selbst wieder abklingen. In den meisten Fällen sind das Gesicht, die Arme, Hände, Beine oder Füße von den Attacken betroffen. Als besonders schmerzhaft werden die Symptome wahrgenommen, wenn die Ödeme im Magen-Darm-Trakt lokalisiert sind. Seltener kann auch der Kehlkopf von Schwellungen betroffen sein – Atemnot und Ersticken sind die häufigste Todesursache bei HAE-Betroffenen.
Wie oft die als selten geltende Krankheit vorkommt, kann man nicht genau sagen. Experten gehen davon aus, dass von 50.000 Menschen weltweit einer an dem Hereditären Angioödem leidet. Schätzungsweise leben in Europa 10.000 bis 50.000 Betroffene. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung sind viele Ärzte nicht mit ihrem Erscheinungsbild vertraut – eine Diagnosestellung kann daher mehrere Jahre dauern. Die ersten Symptome treten durchschnittlich um das elfte Lebensjahr herum auf.
Protein-Überproduktion als Ursache
Für die Entstehung der Erkrankung sorgt ein Gendefekt des elften Chromosoms: Ein Gen, das für die Produktion eines Proteins namens C1-Inhibitor zuständig ist, wird durch eine Mutation verändert. Eine der Aufgaben dieses Proteins ist es, den Körper daran zu hindern, zu große Mengen an Bradykinin zu bilden. Bradykinin ist wiederum ein Eiweiß, welches wichtig für die Blutdruckregulation ist und die Durchlässigkeit der Blutgefäße erhöht. Bei dem Hereditären Angioödem wird der C1-Inhibitor entweder in unzureichenden Mengen ausgeschüttet oder er arbeitet nicht effizient genug – das Resultat ist eine Überproduktion an Bradykinin. Dadurch werden die Blutgefäße durchlässiger, wodurch Blutflüssigkeit aus den Gefäßen austritt, sich in Geweben ansammelt und somit Ödeme entstehen lässt.
Auslöser lauern überall
In den häufigsten Fällen erscheinen die Ödeme unerwartet und es ist meist unklar, wodurch sie ausgelöst werden. Es gibt jedoch gewisse Faktoren, die ihr Auftreten fördern:
- Mechanische Reize wie Druck, Stöße oder Operationen
- Infektionen wie Erkältungen
- Psychischer Stress
- Hormonelle Veränderungen bei Frauen wie der Eisprung oder die Menstruation
- Bestimmte Medikamente wie ACE-Hemmer gegen Bluthochdruck oder hormonelle Verhütungsmittel mit Östrogenen
Wie sich die Schübe ankündigen
Tritt in naher Zukunft eine Schwellungsattacke auf, lässt sich diese oft durch das eine oder andere Anzeichen schon vorab erkennen. Beispiele dafür sind:
- Müdigkeit, Abgeschlagenheit
- Reizbarkeit, Aggressivität
- Depressive Verstimmungen
- Kribbelnde, spannende Haut
- Rötliche Hautveränderungen
Die Ödeme an sich sind meist prall, blass oder hautfarben und äußern sich durch ein Spannungsgefühl. Je nach Stärke der Schwellung können heftige Schmerzen oder ein Brennen spürbar sein, Juckreiz kommt hingegen nicht vor. Im Normalfall dauert ein Schub einige Tage, grundsätzlich ist aber alles zwischen wenigen Stunden bis zu einer Woche möglich. Besonders unangenehm ist die Erkrankung, wenn sie im Magen-Darm-Trakt lokalisiert ist – dann kommt es zu starken Bauchkrämpfen, Übelkeit und Erbrechen und die Patienten können das Bett kaum verlassen.
Neue Therapiemöglichkeit in Sicht?
Eine Heilungsmöglichkeit für das Hereditäre Angioödem existiert bis heute nicht, man kann sie ausschließlich mit Injektionen und Infusionen behandeln. Das Ziel der Therapie ist es, die Häufigkeit und Intensität der Schwellungsschübe zu minimieren und für mehr Lebensqualität zu sorgen. Das Problem der beiden Methoden, die momentan angewandt werden, sind ihr hoher Aufwand und mögliche Nebenwirkungen.
Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Frankfurt und der Charité-Universitätsmedizin Berlin gelang es nun erstmals, ein nachweisbar wirksames Medikament für das Hereditäre Angioödem zu entwickeln. In ihrer Studie, die im Februar 2023 im angesehenen Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht wurde, konnten die Forscher vielversprechende Resultate durch die orale Gabe einer Substanz zeigen. Sie war gut verträglich und führte zu einer schnellen Herabsenkung der Kallikrein-Aktivität im im Blutplasma, wodurch in weiterer Folge ein Überschuss an Bradykinin, dem Auslöser der Erkrankung, verhindert wird – die Symptome konnten somit rasch gelindert werden. Diese ersten Ergebnisse sind aussichtsreich für eine zukünftige neue HAE-Therapieform. Im nächsten Schritt der Untersuchung wird nun evaluiert, wie eine bedarfsgerechte Behandlung mit dem Wirkstoff aussehen könnte.
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