Die Corona-Maßnahmen bringen – besonders im zweiten Lockdown – alarmierende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung mit sich: Fast die Hälfte der psychisch Kranken spricht von einer Verschlechterung ihrer Depression während des letzten halben Jahres. Auch die psychische Versorgung leidet enorm unter der derzeitigen Situation, aufgrund derer Termine beim Arzt oder Psychotherapeuten verschoben oder gar abgesagt werden müssen. Als äußerst kritisch erachten Experten den Anstieg an Suizidversuchen.
Belastungsniveau nimmt beunruhigende Ausmaße an
Die Stiftung für Deutsche Depressionshilfe führte Ende Februar eine repräsentative Umfrage zu Depression durch. Die Ergebnisse der Online-Umfrage, die unter mehr als 5.000 Befragten zwischen 18 und 69 Jahren durchgeführt wurde, zeugen von einem wachsendenden gesellschaftlichen Problem: Fast die Hälfte der Befragten (44 Prozent) spricht bei ihrer diagnostizierten Depression von einer pandemiebedingten Verschlechterung der psychischen Verfassung innerhalb des letzten halben Jahres. Rückfälle oder symptomatische Verschlechterungen zeigen sich bei 16 Prozent.
Höchste Alarmbereitschaft bei Suizidversuchen
Die Zahlen rund um das Thema Suizid bewertet die Stiftung als besonders alarmierend: Ganzen 8 Prozent der Befragten kamen Suizidgedanken in den Sinn, welche bei einem Prozent der Betroffenen sogar zum Selbstmordversuch führten. Dies würde hochgerechnet auf die gesamte Bevölkerungsgruppe der psychisch Kranken 140.000 Suizidversuche innerhalb des letzten Halbjahres ergeben. Problematisch hierbei: Da es in diesem Bereich stark an repräsentativen Datenerhebungen mangelt, gibt es keinen genauen Vergleichswert für die Zeit vor der Pandemie. Doch laut Experten steht hinter jedem erfolgreichen Suizid durchschnittlich die 10- bis 20-fache Anzahl an Suizidversuchen, wodurch pro Jahr deutschlandweit von 150.000 bis 200.000 Selbstmordversuchen auszugehen sei. Dass allein 140.000 Selbstmordversuche von psychisch erkrankten Deutschen innerhalb des letzten Halbjahres verübt wurden, vermittelt ein erschreckendes Bild über die mentalen Auswirkungen durch den Lockdown. Diese Entwicklung sollte Deutschland in enorme Alarmbereitschaft versetzen.
Therapien nur eingeschränkt möglich
Die Situation in der Versorgung psychisch Kranker wies schon vor der Coronakrise einige Mängel auf, doch pandemiebedingt hat sich in diesem Bereich eine verheerende Entwicklung ergeben: 22 Prozent konnten Termine beim Facharzt, 18 Prozent beim Psychotherapeuten, nicht wahrnehmen. Diese wurden verschoben oder sogar abgesagt. Eine vergleichbare Anzahl von Terminen wurde seitens der Patienten aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 abgesagt. Fast ein Viertel der psychisch Kranken (5 Prozent mehr als im ersten Lockdown), bekam jedoch erst gar keinen Behandlungstermin. Auch die Treffen von Selbsthilfegruppen, welche größtenteils nicht mehr stattfinden konnten, hatten enorme Auswirkungen auf die Psyche vieler Patienten. Allerdings gewinnen die Online-Angebote für Betroffene immer mehr an Akzeptanz: Immerhin sind mittlerweile 80 Prozent mit dem derzeitigen Angebot zufrieden. Erkrankte müssen für die Online-Treffen aber nun nicht mehr ihre Wohnstätte bzw. nicht einmal ihr Bett verlassen, sodass hier ein Mangel an Bewegung, frischer Luft und persönlichen sozialen Kontakten droht. Dies kann die psychischen Probleme wiederum verstärken.
Auch Psyche der Allgemeinheit ist gefährdet
Nicht nur bei psychisch Erkrankten hat der nicht zu enden scheinende zweite Lockdown Spuren hinterlassen. Auch die Lebensfreude des Durchschnittsdeutschen scheint langsam aber sicher immer mehr zu schwinden: Fast drei Viertel belastet die derzeitige Lage, im ersten Lockdown waren es nur 59 Prozent. Der Tiefstwert war im letzten Sommer mit nur 36 Prozent zu verzeichnen. Auch die Rücksichtslosigkeit der Mitmenschen bewertet derzeit knapp jeder Zweite als stärker denn je. Jeder Vierte fühlt sich auf familiärer Seite stark belastet, ein Drittel plagt existenzielle Zukunftsängste.
Maßnahmen führen zu Demoralisierung
Durch die durchaus notwendigen – jedoch auf Dauer stark einschneidenden Maßnahmen – werden vielen stützende soziale und alltägliche Grundlagen genommen, was auf lange Sicht eine demoralisierende Wirkung auf die Bevölkerung haben könnte. Die Menschen haben weniger Gründe das Haus zu verlassen und verbringen meist noch mehr Zeit vor Bildschirmen, worunter auch die körperliche Aktivität leidet. Gepaart mit den natürlichen Reaktionen auf eine Krise, wie Sorgen und Ängste, kann das den einen oder anderen stark entmutigen oder sogar dauerhaft psychisch schädigen.
Mut nicht verlieren: Planen hilft
Egal ob psychisch krank oder nicht: Was in Zeiten wie diesen enorm hilft, ist ein strukturierter Tagesablauf. Dabei kann ein Wochenplan schon enorme Erfolge erzielen. Wichtig hierbei ist darauf zu achten, dass neben Pflichten auch angenehme Tätigkeiten zum Ausgleich Platz finden. Zudem sollte man in jeder Situation auch eine Chance sehen, beispielsweise dafür neue Hobbies zu entdecken. Das kann beispielsweise eine neue Sportart sein oder etwas Handwerkliches wie Kreatives. Statt nach einem ganzen Tag vor dem Computer im Home Office auch noch den Feierabend vor dem Fernseher ausklingen zu lassen, kann der ein oder andere vielleicht auch die Freude am Lesen neu für sich entdecken. Wichtig für Körper und Geist ist außerdem der richtige Schlafrhythmus, vor allem für Menschen, die unter Depressionen leiden. Die empfohlene Bettzeit liegt hier bei 8 bis 9 Stunden, vom Powernapping ist bei depressiven Personen stark abzuraten. Das häufig empfohlene Mittagsschläfchen sollte in diesem Fall also lieber ausfallen.
5,3 Millionen Deutsche leiden unter Depressionen
Experten sprechen von keiner gravierenden Zunahme von Depressionen während des letzten Halbjahres. Personen, die bereits eine Veranlagung zu Depression haben, seien durch die Pandemie und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen jedoch besonders gefährdet. Daher ruft die Stiftung dazu auf, dieser Erkrankung gerade in dieser Zeit mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Den Medizinern ist bewusst, dass Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unausweichliche Schritte auf dem Weg zur Besserung darstellen, jedoch sei es wichtig die gesamtgesundheitliche Situation dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Ein erster Schritt dafür sei es, repräsentative Stichproben zur Erhebung der deutschlandweiten Suizidversuche zu fördern, um die Maßnahmen in Hinblick auf den allgemeinen Gesundheitszustand der Deutschen abzuwägen. Immerhin handelt es sich bei Depression mit etwa 5,3 Millionen Betroffenen um eine sehr häufige Krankheit, die gefährliche bis lebensbedrohliche Folgen nach sich ziehen kann.
Auch wenn die genannte Umfrage deutschlandweit repräsentative Ergebnisse liefert, ist es mit einer Umfrage natürlich nicht getan. Datenerhebungen im Bereich der psychischen Gesundheit müssen noch enorm vorangetrieben werden, um hier den Einfluss des Pandemiegeschehens besser verstehen zu können.
Anna
25.03.2021 22:45Wirklich sehr spannender Artikel der wachrüttelt mit diesen erschreckenden Zahlen! Traurige Aspekte die gerne unter all dem ‚Maßnahmenchaos‘ vergessen zu werden scheinen..