Kleinste Plastikteilchen, das sogenannte Mikroplastik, wurden bereits an verschiedensten Orten nachgewiesen: In der Luft, in Ozeanen, im Schnee des Himalayas, in Organen von Fischen und sogar in der menschlichen Plazenta. Was für Schäden diese kleinen Partikel in Lebewesen anrichten können, zeigten nun zwei Physiker: Jean-Baptiste Fleury von der Universität des Saarlandes und Vladimir Baulin von der Universität Tarragona konnten experimentell nachweisen, dass Mikroplastik Zellmembranen mechanisch destabilisiert. Die Studie veröffentlichten sie kürzlich in der Fachzeitschrift „PNAS„.
70 Millionen Tonnen Mikroplastik
Mikroplastik ist überall. Die Kunststoffteilchen kommen entweder in Produkten wie Zahnpasta oder Kosmetika vor oder entstehen durch den Zerfall von Plastikmüll. Doch der größte Anteil des weltweiten Mikroplastik-Aufkommens stammt von synthetischen Textilien: Mit jeder Wäsche geben sie kleinste Partikel in das Wasser ab, die Kläranlagen nicht herausfiltern können. So gelangen die Teilchen in den Wasserkreislauf. Über 70 Millionen Tonnen Mikroplastik befinden sich bereits in den Ozeanen. Welche Folgen das für Mensch und Umwelt hat, ist noch unklar. „Aktuell wird über eine mögliche toxische Wirkung von Mikroplastik auf menschliche Zellen diskutiert“, erklärt Dr. Jean-Baptiste Fleury, der als Experimentalphysiker an der Universität des Saarlandes forscht.
Entzündungen in Zellmembranen
Die Aufnahme von Mikroplastik in lebende Organismen ist nicht direkt tödlich. Jedoch weisen wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hin, dass sie Entzündungen in Zellen hervorrufen kann. „Die Möglichkeit einer Entzündung einer Zellmembran durch einen rein physikalischen Effekt wird jedoch von den allermeisten Studien völlig ignoriert”, bemerkt Jean-Baptiste Fleury. Aus physikalischer Sicht ist eigentlich keine Wirkung von Mikroplastik auf Zellen zu erwarten. Da eine Zellmembran von ihren Eigenschaften her eher Ähnlichkeiten mit einer Flüssigkeit als mit festem Gewebe hat, sollte jede mechanische Wirkung mit der Zeit nachlassen. „Überraschenderweise haben wir jedoch beobachtet, dass sich die Membranen von künstlichen Zellen und roten Blutkörperchen in Gegenwart von Mikroplastik dehnen“, so der Experimentalphysiker weiter. „Anscheinend entzündet sich die Membran der roten Blutkörperchen des Menschen spontan“, beschreibt Jean-Baptiste Fleury die deutliche Wirkung dieses Mikroplastiks auf die Zellmembranen.
Destabilisierung der Membran
Für die Erforschung der Folgen von Mikroplastik für menschliche Zellen, entwickelte der theoretische Physiker Dr. Vladimir Baulin ein mathematisches Modell. Dieses zeigt, wie Plastikpartikel auf Zellmembranen wirken. „Vereinfacht gesagt, hat das Modell von Vladimir Baulin vorhergesagt, dass jedes Partikel einen Teil der Membranfläche verbraucht, was dazu führt, dass sich die Membran um ein Partikel zusammenzieht. Dieser Effekt führt dann zwangsläufig zu einer mechanischen Dehnung der Zellmembran“, erklärt Jean- Baptiste Fleury. „Wir konnten überdies experimentell nachweisen, dass das theoretische Modell sogar den Anstieg der Zellmembranspannung quantitativ vorhersagen kann.“
Keine Entspannung möglich
Mithilfe der sogenannten Mikrofluidik-Technologie erstellte Jean-Baptiste Fleury außerdem ein Modell einer menschlichen Zellmembran und roten Blutkörperchen. Auf diese Weise konnte er die Spannung der Membranen messen, wenn diese mit Mikroplastik in Kontakt kommen. So machten die Forscher eine weitere unerwartete Entdeckung: Die Plastikpartikel blieben auf der Zellmembran nicht etwa an einer Stelle, sondern wurden durch die kontinuierliche Diffusion bewegt. Die Physiker mutmaßen, dass es so zu der anhaltenden Spannung auf der Zelloberfläche kommt, die eine mechanische Entspannung der Zelle im Zuge dessen verhindert. Da sie diese Wirkung sowohl theoretisch als auch experimentell nachweisen konnten, erwarten die Wissenschaftler, dass sich der Mechanismus auf eine Vielzahl menschlicher Zellen und Organe übertragen lässt.
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