TGFβ ist ein Botenstoff, der dazu dient, die Immunreaktion des Körpers nach einer überstandenen Infektion wieder herunterzufahren. Bei schweren COVID-19-Verläufen sieht das allerdings anders aus, fanden Forschende der Charité Universitätsmedizin in Berlin nun heraus: Bei Kontakt mit dem Coronavirus wird der Botenstoff schon zu Beginn der Infektion ausgeschüttet und verhindert so die schützende Reaktion des angeborenen Immunsystems. Die gute Nachricht der Forschenden: Das falsche Timing des Immunsystems lässt sich wahrscheinlich korrigieren.
Botenstoff hemmt Immunreaktion
Registriert unser Körper einen Erreger, kommt zunächst das sogenannte angeborene Immunsystem zum Einsatz. Dieses reagiert unspezifisch und schnell. Das erworbene Immunsystem ist dagegen langsamer und bereitet die gezielte Bekämpfung vor. Aufgrund seiner umgehenden Einsatzbereitschaft ist das angeborene Immunsystem eine entscheidende Verteidigungslinie im Kampf gegen Eindringlinge. Handelt es sich um ein Virus, werden dann vor allem die Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) aktiviert. Sie erkennen infizierte Zellen anhand einer Veränderung der Zelloberfläche und beseitigen diese mithilfe eines Zellgifts. Wird dann Transforming Growth Factor β (TGFβ) ausgeschüttet, ist das für das angeborene Immunsystem das Signal, die Reaktion herunterzufahren. Das ist wichtig, damit der Körper nach überstandener Infektion wieder zum Normalbetrieb übergehen kann. Bei COVID-19 allerdings wirkt der Botenstoff zu früh, stellten Wissenschaftler der Charité und des Leibniz-Instituts Deutsches Rheuma-Forschungszentrum (DRFZ) fest.
Schlechtes Timing
Der angeborene Teil des Immunsystems hat bisher in der COVID-19-Forschung wenig Aufmerksamkeit erhalten. Doch wie die neue Studie, die im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht wurde, zeigt, könnte es noch viel mehr für die Bekämpfung der Erkrankung tun. Das erkannten die Forschenden der Charité und des DRFZ beim Vergleich der Killerzellen von COVID-Erkrankten und Patienten mit anderen Erkältungskrankheiten. Auffällig war dabei, dass sich die Virusmenge von Personen, die am Anfang der SARS-CoV-2-Infektion viele NK-Zellen im Blut hatten, besonders schnell reduzierte. Den Grund dafür fanden die Wissenschaftler bei TGFβ: Bei schweren COVID-19-Verläufen wurde der Botenstoff schon innerhalb der ersten Woche der Infektion vermehrt produziert und blockierte so die angeborene Abwehr. „Das konnten wir bei anderen Lungenentzündungen nicht beobachten und hat uns sehr überrascht“, berichtet Dr. Mario Witkowski, Erstautor der Studie und Wissenschaftler am Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité.
Killerzellen werden zu früh blockiert
„NK-Zellen helfen also bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 mit“, erläutert Dr. Witkowski. „Allerdings waren Zellen, die wir schwer betroffenen Personen entnahmen, im Labor viel weniger gegen das Virus wirksam als Zellen von Menschen mit nur schwachen Symptomen.“ Verantwortlich für diese Diskrepanz ist laut den Wissenschaftlern die zu frühe Ausschüttung von TGFβ. „Unsere Daten zeigen, dass NK-Zellen bei Patientinnen und Patienten mit COVID-19 zwar früh aktiviert, aber dann durch TGFβ gleich wieder blockiert werden“, erklärt Dr. Mir-Farzin Mashreghi, dessen Arbeitsgruppe am DRFZ Gen-Analysen der Immunzellen durchführte. „Die NK-Zellen können dann schlechter an virusinfizierte Zellen andocken und sie deshalb nicht unschädlich machen.“ Dies beobachteten die Wissenschaftler vor allem bei Personen mit schwerem COVID-19-Verlauf, wo der Botenstoff besonders früh produziert wurde. Bei Patienten mit anderen Lungenentzündungen hingegen konnten die Forschenden keinen Einfluss von TGFβ feststellen.
Bei anderen Erkrankungen bleibt Timing intakt
„Vermutlich ist das angeborene Immunsystem bei den meisten COVID-19-Betroffenen in der Lage, das Virus schon kurz nach der Infektion zurückzudrängen. Bei manchen Patientinnen und Patienten reagiert das Immunsystem jedoch so stark auf den Erreger, dass der Körper gegenreguliert und den dämpfenden Botenstoff TGFβ bildet. Das blockiert unter anderem die Funktionsfähigkeit der NK-Zellen. Zu dem Zeitpunkt ist SARS-CoV-2 jedoch noch nicht beseitigt, das hemmende Signal kommt also zu früh. Diese fehlgeleitete Immunreaktion führt schließlich dazu, dass das Virus nicht effizient bekämpft werden kann und die für schwere Verläufe typischen Schäden entstehen. Eine solche starke Aktivierung und gleichzeitige Hemmung von NK-Zellen konnten wir bei anderen Infektionen wie zum Beispiel der Influenza nicht beobachten, das scheint eine Besonderheit von COVID-19 zu sein“, erklärt Prof. Dr. Andreas Diefenbach, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité.
Vielversprechende Therapieansätze
„Neben anderen Faktoren entscheidet also das Timing der TGFβ-Ausschüttung darüber, wie COVID-19 verläuft“, so Prof. Diefenbach. Eine frühzeitige Hemmung des Botenstoffs mit Anti-TGFβ-Therapien, wie sie bereits bei Krebs und Rheuma zum Einsatz kommen, könnte daher schwere Verläufe verhindern. „Wir sehen darüber hinaus einen weiteren Ansatzpunkt für zukünftige Therapien: Möglicherweise könnte man die NK-Zellen im Körper gezielt aktivieren, um sie wieder in die Lage zu versetzen, SARS-CoV-2-infizierte Zellen unschädlich zu machen. Dazu werden wir jetzt untersuchen, wie genau die Immunzellen ihre Zielzellen erkennen und beseitigen.“
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