Männer leben durchschnittlich fünf Jahre kürzer als Frauen. Neben einem tendenziell risikobereiteren Lebensstil können auch biologische Faktoren hinsichtlich der geringeren Lebenserwartung eine bedeutende Rolle spielen. Eine Studie zeigt, dass der Verlust des Y-Chromosoms in Blutstammzellen bei Männern das Risiko für Herzkrankheiten erheblich steigert, was in weiterer Folge zu vorzeitigen Todesfällen führen kann.
Verbreitetes Altersphänomen
Der Verlust einzelner Y-Chromosomen gilt bei Männern mit zunehmendem Alter als ein häufiges Phänomen: Zwischen 40 und 50 Prozent der männlichen Bevölkerung weisen im Alter von 70 Jahren eine derartige Mutation auf. Neben dem Alter trägt auch gesundheitsschädliches Verhalten wie Tabakkonsum zum Abbau des Erbgutes bei. In welchem Ausmaß sich Chromosomen zurückentwickeln, variiert von Person zu Person: Während bei manchen Männern Y-Chromosomen nur in wenigen Zellen fehlen, verfügen andere über kaum noch welche, in denen sie vorhanden sind.
Bedeutung der Chromosomen lange Zeit unterschätzt
Lange Zeit wurde der Verlust dieser Erbinformationen in höherem Alter als kein erhebliches Problem betrachtet, da Mediziner vermuteten, dass Y-Chromosomen in erster Linie für die Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane zuständig seien. Eine frühere Studie deckte allerdings auf, dass der mosaikartige Abbau der Y-Chromosomen mit diversen gesundheitlichen Komplikationen wie Alzheimer, Krebs und Herzproblemen korreliert. Bislang blieb jedoch unklar, ob es sich bei dem Rückgang um eine normale Alterserscheinung handelt, die nur zufällig mit den Erkrankungen einhergeht oder ob die Krankheiten direkt dadurch hervorgerufen werden.
Mangelnde Y-Chromosomen begünstigen Herzversagen
Um diese Forschungslücke zu schließen, ergründeten Experten im Rahmen einer internationalen Studie, inwieweit der Verlust der Y-Chromosomen weit verbreitete Herzprobleme begünstigt. Im Zuge dessen untersuchten die Fachleute Mäuse, deren Y-Chromosomen aus rund 65 Prozent der Blutstammzellen entfernt wurden. Bei der Auswertung der Ergebnisse stellte sich heraus, dass die Tiere durch den Eingriff häufiger Herzfibrosen entwickelten. Diese gefährliche Verhärtung des Herzgewebes führte wiederum zu einem gesteigerten Risiko für Herzversagen.
Tendenz auch bei Menschen festgestellt
Im Anschluss überprüften die Experten, ob diese Tendenz auch bei Menschen beobachtet werden kann. Dazu analysierten die Fachleute Daten aus der UK Biobank. Die Forscher stellten fest, dass jene Männer, die mit zunehmendem Alter nur noch wenige Y-Chromosomen aufweisen, im Durchschnitt häufiger von Herzkomplikationen betroffen sind und darüber hinaus früher sterben. Dem Studienautor Kenneth Walsh zufolge könnte der Verlust dieser Erbinformationen somit eine entscheidende Ursache für die niedrigere Lebenserwartung bei Männern darstellen.
Unerwarteter Zusammenhang
Die Studie verdeutlicht, dass Y-Chromosomen auch in hohem Alter noch eine zentrale Funktion erfüllen. Laut dem Herzspezialisten Andreas Zeiher leistete das Forschungsteam somit einen bedeutenden Beitrag zur kardiologischen Forschung: „Über die Funktion des Y-Chromosoms mit Ausnahme der Bestimmung des Geschlechts ist sehr wenig bekannt. Umso überraschender ist der jetzt erhobene und gut dokumentierte Befund, dass der Verlust des Y-Chromosoms im Tiermodell mit einem bindegewebigen Umbau des alternden Herzens einhergeht.“ Dem Experten zufolge sei der Abbau dieser Erbinformationen trotz des unterschiedlichen Mechanismus mit herkömmlichen Risikofaktoren für Herzerkrankungen wie Diabetes und erhöhten Blutfettwerten vergleichbar.
Erkenntnisse auch für Medikamentenentwicklung relevant
Im Zuge der Studie gelangten die Mediziner zudem zu neuen Erkenntnissen, die für die Medikamentenentwicklung relevant sein könnten. Die Fachleute beobachteten bei den Versuchstieren, dass die Fibrosen auf einen bestimmten Bestandteil des Immunsystems zurückzuführen sind – sogenannte Makrophagen. Hierbei handelt es sich um Fresszellen, die aus Blutstammzellen entstehen und Fremdkörper sowie abgestorbenes Gewebe eliminieren. Die Makrophagen aktivieren einen speziellen Wachstumsfaktor im Herzgewebe, der die Narbenbildung forciert und somit auch zu einer krankhaften Vermehrung des Bindegewebes beitragen kann.
Durch einen bestimmten Antikörper gelang es den Medizinern allerdings, den Wachstumsfaktor zu neutralisieren, wodurch der Prozess der Vernarbung verlangsamt werden konnte. Das Forschungsteam geht davon aus, dass sich dieser Antikörper auch gegen Herzfibrosen beim Menschen als effektiv erweisen könnte. Im Rahmen weiterer Untersuchungen planen die Forscher, diese Annahme näher zu überprüfen. Des Weiteren möchten die Experten ergründen, welche konkreten Risikofaktoren den Verlust der Y-Chromosomen begünstigen.
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