Fünf bis sieben Monate ohne Bewegung – solange könnte wohl kaum ein Mensch durchhalten, ohne einen bedenklichen Muskelschwund zu erleiden. Für Bären oder andere Winterschläfer stellt chronischer Bewegungsmangel jedoch kein Problem dar. Ein japanisches Forschungsteam entschlüsselte nun, wie Menschen sich diesen tierischen Mechanismus zunutze machen könnten.
Schutzmechanismus beim Tier – fatale Schäden für den Menschen
Angesichts der vorherrschenden Nahrungsknappheit begeben sich Bären während der Wintermonate schlafend in eine Höhle. Diese sogenannte Winterruhe erlaubt es den Tieren, keine überflüssige Energie zu vergeuden. Während der Ruhephase wird die Körpertemperatur um sieben bis acht Grad reduziert und auch die Herzschlagfrequenz sowie die Atmung werden stark eingeschränkt. Obwohl sich während dieser Zeit die zuvor angefressenen Fettreserven kontinuierlich verringern, bleiben sowohl Muskel- als auch Knochenmasse unverändert. Im Gegensatz zu Bären geht andauernder Bewegungsmangel beim Menschen oftmals mit zahlreichen Komplikationen einher. Passivität verlangsamt nämlich den Kreislauf und verursacht über einen längeren Zeitraum eine Stauung des Blutes in den unteren Extremitäten – eingeschränkte Gefäßfunktionen, verringerte Sauerstoffzufuhr und erschlaffte Muskeln sind die Folge. Darüber hinaus ist Immobilität für diverse Haltungsschäden, Rückenschmerzen sowie Übergewicht verantwortlich.
Blutproben japanischer Schwarzbären analysiert
Um die winterruhebedingte Resistenz der Bären gegen Muskelschwund näher zu ergründen, analysierten Wissenschaftler der Hiroshima University das Blut von überwinternden japanischen Schwarzbären. Hierbei stellten die Experten entscheidende Abweichungen im Vergleich zu jenen Säugetieren fest, die keine Winterruhe halten. Generell wird die Muskelmasse durch die Balance zwischen der Synthese und dem Abbau von Proteinen beeinflusst. Während der Winterruhe geriet dieser Mechanismus bei den untersuchten Tieren jedoch aus dem Gleichgewicht.
Bedeutendes Protein unterdrückt
Die Mediziner vermuten, dass dieser Umstand auf den unterdrückten Ausdruck eines bestimmten Proteins namens MuRF1 (muskelspezifisches RING-Finger Protein 1) zurückzuführen sei. Dieser Eiweißstoff ist normalerweise für den Abbau ungenutzter Muskeln verantwortlich. Außerdem stellten die Wissenschaftler erhöhte Werte des Hormons IGF-1 fest, welches eine wesentliche Rolle bei der Steuerung des Zellwachstums einnimmt. Diese Auswirkung scheint mit der Hemmung des MuRF1-Proteins zusammenzuhängen.
Positiver Effekt auf menschliche Muskulatur nachgewiesen
Im Rahmen eines weiteren Experiments kombinierten die Wissenschaftler das Blutserum der Schwarzbären mit menschlichen Skelettmuskelzellen. Nach 24-stündiger Exposition wiesen die humanen Muskelzellen ein bedeutsames Proteinwachstum auf. Bei jenen Bären, die sich zum Untersuchungszeitpunkt in der aktiven Sommerzeit befanden, konnte im Blutbild kein vergleichbarer Effekt festgestellt werden. Dem Forschungsteam gelang es somit erstmals zu belegen, dass die einzigartigen Mechanismen im Blut der Schwarzbären lediglich während des Winterschlafs aktiviert werden und trotz monatelanger Passivität Muskelabbau entgegenwirken.
Weitere Forschung benötigt
Die Forscher zeigen sich angesichts der gewonnenen Erkenntnisse zufrieden: „Wir haben angedeutet, dass ein Faktor, der im Serum überwinternder Bären vorhanden ist, den Proteinstoffwechsel in kultivierten menschlichen Skelettmuskelzellen regulieren und zur Erhaltung der Muskelmasse beitragen kann“, konkludiert der Studienerstautor Mitsunori Miyazaki. Trotz der aufschlussreichen Resultate bedürfe es aber noch weiterer Forschung, um den zugrundeliegenden Mechanismus dieses Effektes näher zu ergründen. Laut den Medizinern könnten zukünftige Untersuchungen innovative Therapieansätze gegen Muskelschwund ermöglichen und die bisherigen Rehabilitationsmethoden revolutionieren.
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