Dass die Ernährung Auswirkungen auf die körperliche Entwicklung des Menschen haben kann, ist den meisten Menschen bewusst. Die meisten denken dabei jedoch primär an den Zusammenhang mit dem Körpergewicht, und weniger an jenen mit der Körpergröße. Letztere wird vor allem auf die Erbanlagen zurückgeführt, obgleich auch andere Faktoren einen Einfluss haben können. So spielt laut einer neuen Studie, die von Forschenden der Universität Bonn im Fachmagazin „Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism“ publiziert wurde, die Proteinaufnahme eine wesentliche Rolle – zumindest beim Wachstum von Mädchen.
Was man über Proteine wissen muss
Proteine sind Eiweiße, die aus Aminosäuren bestehen. Einen Teil davon kann der Körper in Eigenproduktion generieren, andere müssen wiederum über die Nahrung aufgenommen werden. Da der Körper keinen Proteinspeicher besitzt, müssen die Körperzellen regelmäßig mit Eiweiß versorgt werden. Proteine können als Baumaterial für Muskeln, Blut und Organe klassifiziert werden, sind aber auch für Hormone und Enzyme, beispielsweise zur Immunabwehr, essentiell.
Unterschieden werden muss zwischen tierischem und pflanzlichem Eiweiß. Ersteres ist in Fleischwaren, Fisch, Milchprodukten und Eiern enthalten und ähnelt in seiner Zusammensetzung dem Körpereiweiß. Aufgrund des günstigen Verhältnis‘ nahezu aller lebensnotwendigen Aminosäuren spricht man in diesem Zusammenhang auch von einer hohen biologischen Wertigkeit. Die Nachteile tierischer Proteine liegen darin, dass fettreiche Fleischarten, Wurst und Eier neben Eiweißen auch über Begleitstoffe wie z.B. Cholesterin, Fett, Purine oder Kochsalz verfügen. Diese Stoffe können Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen, Arterienverkalkung, Übergewicht oder Gicht begünstigen. Pflanzliches Eiweiß kommt in pflanzlichen Lebensmitteln wie Brot, Getreide, Hülsenfrüchten, Gemüse, Kartoffeln und Nüssen vor. Wenngleich dem Körper die Verwertung dieser Art von Proteinen schwerer fällt, besitzen pflanzliche Nahrungsmittel einen entscheidenden Vorteil: Purine, Cholesterin und gesättigte Fette sind in den seltensten Fällen enthalten.
Anabole Potenz von Proteinen
Die an der Studie beteiligten WissenschaftlerInnen wollten herausfinden, inwiefern die Ernährung in der Jugend auch die Größe beeinflussen kann. Der Fokus wurde dabei auf die möglichen Zusammenhänge zwischen der Proteinaufnahme und der Körpergröße gelegt. „Die Studie zeigt erstmals mit detaillierten Ernährungsdaten über einen Zeitraum vom 3. bis zum 17. Lebensjahr die anabole Potenz des essentiellen Nährstoffs Eiweiß auf“, so Studienautor Professor Dr. Thomas Remer. Zusammen mit der Doktorandin und Erstautorin Yifan Hua wertete Remer detaillierte Ernährungsprotokolle, periodische 24-Stunden-Urinsammlungen sowie spezifische Größenmessungen von 189 Mädchen und Jungen aus. Die Proteinzufuhr wurde dabei nicht nur über die Ernährungserhebungsdaten, sondern auch durch Messungen der Harnstoff-Stickstoffausscheidung im Urin ermittelt.
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Die Studienergebnisse waren erstaunlich: Während bei Jungen und jungen Männern durch eine gesteigerte Proteinzufuhr kein Effekt auf die Körpergröße festgestellt werden konnte, zeichnete sich bei Mädchen ein deutlicher Zusammenhang ab. Laut den ForscherInnen führt ein durchschnittliches Überschreiten der Zufuhrempfehlungen um etwa sieben Gramm Eiweiß pro Tag bei Mädchen im Schnitt zu einem Größenzuwachs um einen Zentimeter. Bei Jungen hingegen hatte auch eine eindeutig über dem empfohlenen Bedarf liegende Proteinzufuhr keine wachstumsfördernden Wirkungen zur Folge. „Dieser Größeneffekt scheint bei Jungen mit einer Eiweißversorgung oberhalb des Bedarfs keine entscheidende Rolle zu spielen“, so auch Yifan Hua. Doch warum entfaltet Eiweiß gerade bei Jungen, die sich oftmals einige Zentimeter mehr an Körpergröße wünschen, seine anabole Potenz nicht? „Offenbar lassen bei ihnen deutlich stärkere Wirkungen der Geschlechtshormone – unter anderem Testosteron – auf die Wachstumshormon-Achse weniger Spielraum für einen zusätzlichen anabolen Ernährungseffekt durch Protein zu“, schlussfolgert die Medizinerin.
Zukunftsaussichten und Perspektiven
„Wenn keine Zunahme der Körpergröße erwünscht ist, können Mädchen während des Wachstums durch eine an die Empfehlungen angepasste Proteinzufuhr, also durch Verzicht auf eine erhöhte Eiweißaufnahme, sogar eine Minderung ihrer späteren Erwachsenengröße um einige Zentimeter erreichen“, mutmaßt Professor Remer. Einem 15- bis 17-jährigen Mädchen werden beispielsweise 48 Gramm Eiweiß pro Tag empfohlen. Grundsätzlich raten die ErnährungswissenschaftlerInnen, die vorgegebenen Eiweißzufuhrempfehlungen einzuhalten. In der Realität seien viele Kinder mit Eiweiß jedoch überversorgt – teilweise liege die Zufuhr um das 1,7- bis 2-Fache über dem notwendigen Bedarf. „Mögliche Langzeitkonsequenzen entsprechend hoher Eiweißzufuhren sind bis jetzt noch nicht zufriedenstellend erforscht“, warnt auch Remer. In zurückliegenden Untersuchungen konnten bisher nur positive Zusammenhänge für die Knochenstabilität mit einer erhöhten Proteinaufnahme festgestellt werden – unter der Voraussetzung, dass die Obst- und Gemüsezufuhr nicht zu gering und die damit einhergehende ernährungsabhängige Säurebelastung nicht zu hoch waren.
Was meinen Sie?