Unsere Nervenbahnen sind, ähnlich wie Kabel, von einer Isolierschicht ummantelt. Dadurch werden Signale schneller übertragen. Doch bei Menschen, die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt sind, wird diese Isolierung angegriffen – vom eigenen Immunsystem. Diese Angriffe auf das Nervensystem verlaufen meist schubförmig. Betroffene erleiden dann kurze Phasen mit verstärkten Symptomen, die bis zu einigen Wochen andauern können. Darauf folgen Phasen der Remission, in denen die Symptome zu großen Teilen oder sogar vollständig wieder abklingen. Man sagt dann, dass die Krankheit „schläft“. In welchen Abständen die Schübe auftreten, ist unterschiedlich und lässt sich nicht vorhersagen. Um diese Angriffe zu verhindern, werden meist immunmodulierende, also das Immunsystem verändernde Wirkstoffe eingesetzt. Doch was heißt das für die Impfungen gegen Covid-19?
Impfungen lösen keine Schübe aus – Infekte schon
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) hat nun gemeinsam mit dem Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) eine Empfehlung zu den Covid-19-Schutzimpfungen und MS veröffentlicht. Die Datenlage sei zwar begrenzt, man könne jedoch die Erfahrungen mit anderen Vakzinen wie dem Grippeimpfstoff auf die neuen Präparate übertragen. Die Experten betonen in der Mitteilung, dass bei MS-Erkrankungen nach jetzigem Wissensstand kein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen durch die Impfungen bestehe. Weiterhin gebe es keine Hinweise darauf, dass Impfstoffe, weder gegen Covid-19 noch gegen andere Krankheiten, MS-Schübe auslösen würden oder sonstige Auswirkungen auf die Krankheitsaktivität hätten. Diese Einschätzungen bestätigten auch aktuelle Erfahrungen aus Israel mit dem mRNA-Vakzin von BioNtech und aus England mit dem AstraZeneca-Präparat. Jedoch sei bestätigt, dass Infekte das Risiko für einen Schub deutlich erhöhen. Die DMSG und KKNMS raten daher zu den Impfungen, um sowohl die Covid-19-Erkrankung als auch eine darauf folgende Verschlechterung der MS zu vermeiden.
Eventuell eingeschränkte Wirkung durch MS-Therapien
Auch zum Impferfolg bei Einnahme immunmodulierender Medikamente stünden nur begrenzt Daten zur Verfügung. Doch gebe es laut DMSG und KKNMS bei einigen MS-Therapien „Hinweise auf ein vermindertes Ansprechen“ von Impfungen. Das würde bedeuten, dass der Impfschutz womöglich nicht seine volle Wirkung entfaltet. Trotzdem betonen die DMSG und KKNMS, dass MS-Therapien für die Schutzimpfungen nicht pausiert werden sollten, da die Auswirkungen einer unterbrochenen Therapie als schwerwiegender einzuschätzen seien als die Auswirkungen einer verminderten Immunantwort. Sollte der Beginn einer Therapie kurz bevorstehen, raten die Experten dazu, die Corona-Impfung möglichst vorher vorzunehmen. Eine Möglichkeit, um die Schutzwirkung der Impfungen zu verstärken, sei außerdem der Einsatz von Booster-Impfungen.
Erhöhte Priorität für MS-Erkrankte
Für die Vergabe des Impftermins gehören MS-Erkrankte zur Gruppe mit erhöhter Priorität (Gruppe 2). In Einzelfällen kann nach individueller ärztlicher Beurteilung eine Aufnahme in die Gruppe mit hoher Priorität erfolgen. Die DMSG und KKNMS erklären außerdem, dass jedes der bisher in der EU zugelassenen Präparate auch für MS-Erkrankte geeignet sei. Sollten verschiedene Vakzine am Impftermin zur Verfügung stehen, rät die DMSG bei Menschen mit aktueller immunsuppressiver Therapie zu einem mRNA-basierten Wirkstoff. Diese Einschätzung sei jedoch noch nicht ausreichend durch Daten gestützt. Die Experten betonen, dass das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken und infolgedessen einen Schub oder eine Verschlechterung der MS zu erleiden, deutlich höher sei, als durch die Impfstoffe. Daher sprechen sich die Gesellschaften klar für die Schutzimpfungen bei MS-Patienten aus.
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