Balance ist bekanntlich wichtig. Das ist auch für unseren Darm der Fall. Das Darmmikrobiom, auch Darmflora, beschreibt die Gesamtheit aller im Darm lebenden Mikroorganismen und bestimmt maßgeblich unseren Stoffwechsel. Welche Rolle die Darmflora für unsere Gesundheit spielt, beleuchtete die Forschung in den letzten Jahren immer mehr. Doch wie diese Prozesse funktionieren und wie die Zusammensetzung der Darmflora überhaupt zustande kommt, blieb weitestgehend unklar.
Das Darmmikrobiom: Einflussreicher Player
Wissenschaftler vermuten heute, dass es einen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Darmmikrobioms und der Entstehung von Krankheiten gibt. Besonders chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) scheinen eng mit der Balance der Darmflora verbunden zu sein. Eine Forschungsgruppe der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) ist nun einen Schritt näher an der Entschlüsselung des Darmmysteriums: Sie analysierten Daten von rund 9000 Probanden auf Zusammenhänge zwischen genetischen Variablen und dem Darmmikrobiom. Dabei stellten sie eine Verbindung zwischen der Blutgruppe und der Zusammensetzung des Mikrobioms fest. Die Ergebnisse präsentierten sie kürzlich im Fachmagazin Nature Genetics.
Futter für die Bakterien
Die Forschenden fanden heraus, dass das Fehlen von Blutgruppenantigenen im Darm Auswirkungen auf die Bakterienzusammensetzung hat. Das ist bei Menschen mit der Blutgruppe 0 der Fall, sowie bei den sogenannten „Nicht-Sekretoren“. Bei ihnen kommen die Antigene nur im Blut und nicht in anderen Körperflüssigkeiten vor. „Bei einigen Menschen, den sogenannten „Sekretoren“, werden diese Blutgruppenantigene nicht nur auf der Oberfläche von roten Blutkörperchen gebildet, sondern auch in den Darm abgegeben. Dies sind vor allem Zuckerreste, die von einigen Bakterien der Bacteroides-Gruppe vermutlich als Energiequelle genutzt werden können, sodass diese vermehrt vorkommen“, beschreibt Dr. Malte Rühlemann, Erstautor der Studie, den Fund.
Bei den Nicht-Sekretoren, die rund 20% der Bevölkerung ausmachen, sowie bei Menschen mit der Blutgruppe 0 kommt es durch das Fehlen der Antigene im Darm zu einer abweichenden mikrobiellen Zusammensetzung. Das zeigt, welche Auswirkungen die individuelle Genetik auf den menschlichen Stoffwechsel hat. Bisher wurde davon ausgegangen, dass vor allem Umwelt und Ernährung das Darmmikrobiom beeinflussen. Doch die Ergebnisse der Studie zeigen, dass neben diesen Faktoren auch genetische Variablen wie Blutgruppe und Sekretor-Status eine Rolle spielen.
Veränderung des Mikrobioms als Therapieansatz
Die Einflussfaktoren für die Darmflora zu bestimmen ist ein wichtiges Ziel, um die Zusammenhänge zwischen der bakteriellen Besiedlung des Körpers und der Entstehung von Krankheiten abzuleiten. „Unsere Analysen großer Mengen genetischer Daten im Rahmen von möglichst umfangreichen Kohorten-Studien werden Klinikerinnen und Klinikern bei dieser Suche wertvolle Hinweise liefern, an welchen Stellen sie am besten in das Mikrobiom eingreifen können, um künftig auf einer gestörten Bakterienbesiedlung beruhende Krankheiten gezielt zu behandeln“, sagt Professor Andre Franke, Co-Autor der Studie und Mitglied des Sonderforschungsbereichs „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ an der Christian-Albrechts-Universität. „Die Identifizierung solcher Therapieziele ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu einer künftigen Behandlung beispielsweise von chronischen Darmentzündungen durch gezielte Veränderungen der Zusammensetzung des Mikrobioms“, so Franke weiter.
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