Forschende der schwedischen Universität von Lund gewannen durch aktuelle Studien neue Erkenntnisse über das Gehirn. Demnach sind Läsionen, die etwa durch einen Schlaganfall oder Verletzungen verursacht werden, nicht der einzige Grund für motorische Probleme: Auch das Hormonsystem nimmt Einfluss. Mit diesem Wissen hoffen die Forschenden neue Medikamente zu entwickeln, die die Auswirkungen von Schlaganfällen und Hirnverletzungen mindern.
Hormone nehmen mehr Einfluss als gedacht
Schlaganfälle sind laut Robert-Koch-Institut (RKI) die weltweit häufigste Ursache für bleibende Behinderungen im Erwachsenenalter. Durch einen Gefäßverschluss (ischämischer Infarkt) oder durch eine Blutung (hämorrhagischer Infarkt) im Gehirn kommt es dabei zu einer Einschränkung der Hirnfunktion. Infolgedessen können motorische Schwierigkeiten auf der zur betroffenen Hirnhälfte jeweils gegenüberliegenden Körperseite auftreten. Lange nahmen Forschende an, dass dies daran lag, dass die linke Gehirnseite die rechte Körperhälfte kontrolliert und andersherum. Doch in einer neuen Studie kamen die schwedischen Wissenschaftler zu anderen Ergebnissen: Ratten, denen sie bestimmte Hormone verabreichten, entwickelten ähnliche Symptome wie Menschen nach einem Schlaganfall oder einer Hirnverletzung. Und: Durch Blockierung dieser Hormone konnten die Beschwerden zum Teil behoben werden. Die Studie veröffentlichten sie kürzlich im Fachjournal „eLife„.
Symptome trotz fehlender Verletzung
„Dies deutet auf eine bisher unbekannte und äußerst komplexe Interaktion zwischen dem zentralen Nervensystem und den Hormonsystemen hin“, so Jens Schouenborg, Professor für Neurophysiologie an der Universität Lund und einer der Forschungsleiter. Um den Zusammenhang zu untersuchen, sahen sich die Forschenden Ratten an, bei denen das untere Rückenmark durchtrennt war. Das heißt, es bestand keine Verbindung zwischen dem Gehirn und den hinteren Extremitäten. Somit sollte eine Verletzung der neuronalen Strukturen keine motorischen Auswirkungen haben.
Paradoxerweise beobachteten die Forschenden jedoch, dass die Reflexe des Hinterbeins auf der gegenüberliegenden Seite der Hirnverletzung eingeschränkt waren. Ratten ohne Hirnanhangsdrüse, eine Hormondrüse an der Basis des Gehirns, zeigten diese Probleme nicht. Die Forschenden gehen daher von einem Mitwirken der Hormone ß-Endorfin und arg-Vasopressin aus. Als die Wissenschaftler die Hormone Ratten ohne Hirnläsionen verabreichten, entwickelten diese ebenfalls die Symptome, die typisch für eine Verletzung der linken Gehirnhälfte sind.
Völlig neue Behandlungsmöglichkeiten
Als nächstes testeten die Forschenden ein Mittel, das den Effekt der Hormone blockiert, und gaben es Ratten mit linksseitiger Hirnverletzung. Die Ergebnisse bestätigten die Vermutungen: Die Nagetiere entwickelten keine motorischen Einschränkungen, wie sonst nach einer solchen Verletzung der Fall. „Ich glaube, dass unsere Entdeckungen mit der Zeit zu einer völlig neuen und wirksamen Art der pharmakologischen Behandlung von motorischen Problemen nach einem Schlaganfall oder einer anderen Hirnverletzung beitragen könnten. Bis es jedoch so weit ist, sind weitere Forschungen sowie die Entwicklung neuer Techniken erforderlich, die es ermöglichen, die dynamische Interaktion zwischen Hormonen und dem Nervensystem zu untersuchen“, erklärt Jens Schouenborg.
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