Bis jetzt war es für Menschen mit schwerer Lähmung oder einem Locked-In-Syndrom (fast vollständige Lähmung) annähernd unmöglich mit ihrer Umwelt zu interagieren. Durch neu entwickelte Neuroprothesen soll ihnen durch Hirn-Computer-Schnittstellen die Kommunikation erleichtert werden.
Was sind Neuroprothesen?
Neuroprothesen sind – wie jede Prothese – ein Ersatz für Körperteile oder Körperfunktionen, die ihre Aufgabe nicht oder nicht zur Gänze erfüllen können. Neuroprothesen sind nun Computer-Zusatzteile, welche ins Gehirn eingesetzt werden und durch gewisse Gehirnaktivitäten Muster erstellen und diese zum Beispiel in Sprache umwandeln.
Durchbruch in der Forschung
Die meisten Geräte nutzten für die Umwandlung von Neuronen-Aktivitäten in Sprache bisher vorgestellte Bewegungen. Nun ist es einem Forscherteam der University of California in San Francisco jedoch gelungen, diese Gehirnaktivitäten direkt als Buchstaben darzustellen. “Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCIs) haben das Potenzial, die Kommunikation mit solchen Patienten wiederherzustellen, indem sie neuronale Aktivität in beabsichtigte Nachrichten entschlüsseln”, heißt es in dem veröffentlichten Forschungsblatt.
Mithilfe einer Deep-Learning- und einer Sprachmodellierungstechnik haben die Forscher es geschafft Sätze mithilfe eines Vokabulars von 1.152 Wörtern mit durchschnittlich 29,4 Zeichen pro Minute zu entschlüsseln. Die Bedienung wird durch die Kombination mit dem integrierten Wörterbuch nun wesentlich schneller, einfacher und intuitiver. Den Betroffenen ermöglicht sie eine neue Art des natürlichen Sprechens.
Wer kann sich über die neue Neuroprothese freuen?
Personen, welche schwere neurologische Schäden erlitten haben und dadurch ihre Sprachfähigkeit verloren haben, sollen mithilfe dieser Prothesen wieder kommunizieren können. Aber nicht nur Menschen, die durch einen Schlaganfall, eine Lähmung oder Ähnliches ihre Stimm-Muskulatur nicht mehr unter Kontrolle haben, können sich freuen – auch für deren Angehörige ist der Durchbruch ein wichtiger Schritt.
Personen, die unter dem sogenannten Locked-In-Syndrom leiden, haben geistig zwar keine Einschränkungen, jedoch können sie ihre Gedanken nicht kommunizieren, da sie keinen ihrer Muskeln bewegen können. Für diese Menschen ist eine solche Technologie wie ein neuer Lebensfunke, da sie wieder mit ihrer Familie in Kontakt treten können. Dies steigert die Lebensqualität der Betroffenen enorm.
Erster Patient kann wieder kommunizieren
Durchgeführt wurde die Studie an einem 36-jährigen Probanden, der seit einem Schlaganfall an einer schweren spastischen Lähmung leidet und auf Grund dieser nicht mehr sprechen kann. Zuvor hatte er mithilfe einer durch Kopfbewegungen gesteuerten Computer-Schnittstelle kommuniziert und stimmte mit dieser ebenfalls der Teilnahme an dem Experiment zu. Daraufhin wurde die Neuroprothese chirurgisch in die linke Hemisphäre seines Gehirns implantiert. Es handelt sich dabei um ein neurales Implantat, welches mithilfe von scheibenförmigen Elektroden im Gehirn angebracht wurde. Durch einen Haut-durchdringenden Stecker konnten die Signale dann an einen Computer übertragen werden.
Das System der gedachten Buchstaben
Sean Metzger und seine Forscher-Kollegen vermittelten dem Probanden den NATO-Buchstabiercode zu verwenden. “Alpha”, “Charlie” oder “November” für die Buchstaben A, C und N sind Beispiele für Teile dieses Codes. Beobachtet wurden die Hirnaktivitäten, die stattfanden, während der 36-Jährige die Buchstabencodes durchdachte. Durch das präzise Messen konnte die künstliche Intelligenz die Codes wiedererkennen und dazulernen.
Der eigentliche Versuch fand jedoch danach statt. In diesem musste der Proband 75 Sätze buchstabieren sowie einige Fragen durch die Hirn-Computer-Schnittstelle beantworten. In Echtzeit zeichnete die Software seine Neuronen-Signale auf und verglich diese mit den bereits oben erwähnten zur Verfügung stehenden Vokabeln. Durch diesen Vergleich wird die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Worte ebenfalls miteinbezogen und es kann viel schneller kommuniziert werden. Von 17 Zeichen pro Minute bei den alten Geräten hin zu 29,4 Zeichen mit der neuen Methode ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Zum Starten des Vorgangs musste sich der Proband nur vorstellen zu sprechen. Um das Programm zu beenden, reichte eine fast unmerkliche Handbewegung.
Wie geht es weiter?
Die Forscher wollen in weiterer Folge die Spracherkennungsfähigkeit ohne Probanden testen und die zur Verfügung stehenden integrierten Vokabeln auf über 9.000 Vokabeln erweitern. In weiteren zukünftigen Studien sollen dann mehr Probanden hinzugezogen werden, um die Fortschritte erneut zu testen.
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