Wäre die Struktur des Corona-Erregers durch Mutationen derart stark verändert, dass die bereits gebildeten Abwehrzellen das Virus nicht mehr wiedererkennen, so hätte das gefährliche Auswirkungen: Ein erneutes Aufflammen der COVID-19-Pandemie ließe sich praktisch nicht vermeiden. Forscher des Scripps Research Institute (Kalifornien) untersuchten die Entstehung der sogenannten Escape-Mutanten nun genauer, in der Hoffnung, Impfstoff- und Therapiemöglichkeiten zu identifizieren, die einen breiteren Schutz bieten und nicht ständig neu angepasst werden müssen.
Mutationen sichern Fortbestehen des Virus
Anders als Bakterien sind Viren bei ihrer Vermehrung auf Wirtszellen angewiesen: Da ihnen entsprechende Werkzeuge für Teilung und Wachstum fehlen, zwingen sie menschliche Zellen zur Herstellung neuer Viren. Hat sich der Parasit erst einmal in die menschliche Zelle eingeschleust, so werden die im Viren-Genom gespeicherten Baupläne für verschiedene Virusbestandteile mithilfe des zelleigenen Vermehrungsmechanismus reproduziert. Bei der sogenannten Proteinsynthese (Neubildung von Proteinen in Zellen) kommt es zu einem Abschreiben der notwendigen Virus-Erbinformationen, wobei gelegentlich zufällige Fehler passieren können.
Der fehleranfällige Prozess des RNA-Kopierens ist also dafür verantwortlich, dass Mutationen entstehen können. Das Virus verfolgt dabei jedoch kein ausgetüfteltes Ziel, vielmehr unterliegt es einfach den Darwin‘schen Naturgesetzen. Eine Selektion findet statt: Schädliche Mutanten verschwinden sofort wieder, während sich gut an den Wirt angepasste Varianten durchsetzen. Fluchtmutanten schaffen es gar, einem Teil der natürlichen oder der durch eine Impfung herbeigeführten Immunantwort auszuweichen. Damit sichert das Virus in gewisser Weise sein Überleben.
Analyse der Hauptmutationen bringt Aufschlüsse
Zu den aktuell besorgniserregenden Varianten gehören unter anderem jene aus Großbritannien (B.1.1.7), Südafrika (B.1.351), Brasilien (P.1) und Indien (B.1.617). Aktuelle Studien zeigen: Wurden Corona-Antikörper bei einer Infektion mit dem ursprünglichen Wuhan-Stamm oder nach erfolgter Impfung gebildet, so können diese Antikörper die Mutationsvarianten weniger effektiv neutralisieren. Angesichts der Tatsache, dass eine weitere Verbreitung der Mutationen fatale Auswirkungen auf den Impferfolg haben könnte, forderten die Forschenden Escape-Mutanten genauer zu untersuchen.
Sie selbst setzten dafür den ersten großen Meilenstein, indem drei besonders wichtige Mutationen im SARS-CoV-2-Spike-Protein analysiert wurden: K417N, E484K und N501Y. Diese kommen einzeln oder kombiniert in den meisten der entstandenen Hauptmutanten vor. Das Interessante dabei ist, dass sich alle Mutationen an der SARS-CoV-2-Rezeptor-Bindungsstelle gebildet haben: Das Virus verändert sich in den allermeisten Fällen direkt dort, wo es an der Wirtszelle andockt. Anderweitige Rezeptor-Bindungsdomänen seien bislang nicht von Mutationen betroffen.
Urstamm-Antikörper gegen Mutanten erfolglos?
Ziel der Forschenden war es den Einfluss der Mutanten auf jene Stellen zu untersuchen, an welchen Antikörper normalerweise mit den Rezeptoren des Virus binden und diese neutralisieren würden. Mithilfe einer Art Lupe, die den relevanten Teil des Virus in atomarer Auflösung zeigen kann, gelang es den Experten, strukturelle Ergebnisse zu gewinnen. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede in den Antikörperreaktionen: Abwehrstoffe, welche durch eine Infektion mit dem ursprünglichen Virusstamm oder durch eine Impfung ausgelöst wurden, sind stark genug, um den Wuhan-Stamm zu neutralisieren. Bestimmten bedenklichen Varianten gelingt es hingegen, dieser Immunantwort auszuweichen. Dadurch wären bereits gebildete Antikörper in gewissen Fällen unwirksam.
Spike-Protein als Angriffspunkt ungeeignet
Zudem weist das Team explizit darauf hin, dass die drei Hauptmutationen K417N, E484K und N501Y alle an derselben Stelle auftreten. Es wird vermutet, dass SARS-CoV-2 in diesem Bereich von Natur aus besonders anfällig für das Auftreten von Mutationen ist. Andere Virusbestandteile sind wiederum weniger empfänglich für Mutationen: Bei der Entwicklung von Impfstoffen und Antikörpertherapien sollte zukünftig in Erwägung gezogen werden, den Fokus auf jene Stellen des Virus zu setzen, die außerhalb des Spike-Proteins liegen. Dadurch könnte man einer ständigen Anpassung von Impfstoffen und Antikörpermedikamenten entgehen. Die Forscher resümieren, dass es einen breiteren Schutz gegen SARS-CoV-2 und all seine Varianten braucht, um den natürlichen Entwicklungen des Virus nicht ständig nachzuhinken.
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