Mit jeder Zellteilung in unserem Körper muss auch die DNA kopiert werden. Zum Schutz des Erbguts befinden sich an den Enden sogenannte Telomere – sie werden mit jeder Teilung ein wenig kürzer. Daher nahmen Wissenschaftler bis vor kurzem an, dass Menschen, deren Telomere besonders lang sind, automatisch länger leben.
Stattdessen zeigt eine neue Studie aber, dass das Gegenteil der Fall ist. Personen mit langen Telomeren scheinen anfällig dafür, eine Vielzahl an gutartigen und bösartigen Tumoren zu entwickeln – sowie die altersbedingte Blutkrankheit „klonale Hämatopoese“.
Lange Telomere erlauben vermehrt Mutationen
Die klonale Hämatopoese ist eine Krankheit, die vor allem in Blutzellen von Menschen mit langen Telomeren vorkommt. Das zumindest behaupten die Autoren der neuen Studie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Die Kombination aus der Erkrankung der Blutzellen und den langen Enden der DNA erlaubt die Entstehung und Manifestation von Mutationen in den Zellen. Aufgrund dieser Erkenntnis bezweifelt die Studienleiterin Mary Armanios den gängigen Glauben, dass lange Telomere zwangsläufig mit einem hohen Alter einhergehen. Die Besonderheit im Erbgut schützt uns also nicht, wie bisher angenommen, vor dem Alterungsprozess. Vielmehr erlaubt sie den Zellen sich zu reproduzieren, obwohl sie Mutationen aufweisen. Im Labor erweisen sich lange Telomere in Zellkulturen zwar als besonders langlebig, doch bei Menschen verursachen sie mitunter schwerwiegende Probleme: Die Mutationen sammeln sich an und fördern Wucherungen, die normalerweise durch den Prozess der Telomerverkürzung kontrolliert werden.
Mutation erlaubt übermäßiges Wachstum
Dieses unkontrollierte Zellwachstum konnte in der Studie bei zwölf der 17 Teilnehmenden festgestellt werden. Die Probanden waren zwischen sieben und 83 Jahre alt und hatten mit unterschiedlichen Formen von Tumorerkrankungen zu kämpfen. Einige der Patienten hatten sogar mehr als eine Krebserkrankung. Außerdem verstarben im Laufe der Studie vier Personen, die jeweils an Lymphomen, Darmkrebs, Leukämie und einem Hirntumor gelitten hatten.
Was aber alle Untersuchten gemeinsam hatten, war eine Mutation im POT1-Gen. Dieses kontrolliert normalerweise die Verlängerung der Telomere während der Zellteilung. Ist es aber mutiert, kann es diese Aufgabe nicht erfüllen und die Enden werden außergewöhnlich lang. Bei allen Teilnehmenden zeigte sich eine Verlängerung von 90 bis 99 Prozent im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung. Außerdem wiesen sechs von ihnen Anzeichen einer verzögerten Alterung auf – beispielsweise hatten Personen im Alter von über 70 Jahren noch immer keine grauen Haare.
Test soll Risiko für Leukämie bestimmen
Die Auswirkung der verlängerten Telomere auf Mutationen in roten Blutzellen untersuchten die Forscher ebenfalls. Dabei wiesen sie bei 20 Prozent der über 70-Jährigen Veränderungen im Erbgut nach, die sich bereits manifestiert hatten. Die Mutationen verschaffen den Blutzellen einen Vorteil im Überleben und erlauben ihnen, sich zu teilen – so können sich die Veränderung ausbreiten. Am Ende führt dies allerdings zu einer klonalen Hämatopoese, die mit einem erhöhten Risiko für Blutkrebs und andere Tumor-Erkrankungen einhergeht. Während der zweijährigen Studie fand Armanios mit ihrem Team außerdem heraus, dass Personen mit langen Telomeren eine langsamere Verkürzung ihrer DNA-Enden zeigten. Daher plant sie auch die Mutationsraten in anderen Zelltypen zu studieren. Mit ihrem Team arbeitet sie nun daran einen Test zu erstellen, der die Länge der Telomere mit der Verbreitung der Mutationen in den Blutzellen in Verbindung bringt. Damit soll das individuelle Risiko, an einer Leukämie zu erkranken, bestimmt werden.
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